Christian Helbock

KOSOWAR, 1999/2000

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KOSOWAR, 1999/2000, 12 Fotoprints, Auflage 1/2, je 18 ­x 26,5 cm

 

 

 

 

KOSOWAR 

Vermischte Bemerkungen zu einigen Kriegsbildern

 

In den ersten Tagen des Kosovo-Krieges wurde Wag the Dog, jene Realsatire auf den amerikanischen Präsidenten, der, um von einer intimen Affaire abzulenken, einen fiktiven Krieg in Albanien führt, in die politische Realität implementiert. Der Film wurde, wie in den Zeitungen zu lesen war, vom serbischen Fernsehen - gewissermassen als propagandistische Illustration - auf den Spielplan gesetzt: Krieg als Einfall eines findigen Hollywood-Produzenten, der sein Illusionspotential der Politik zur Verfügung stellt. Krieg aber auch als funktionierendes Zusammengehen von Absicht und vermittelnder public relation, die, als verfeinerte Form der Propaganda, uns Zusehende meint und neben der militärtechnischen auch unsere emotionale Mobilisierung will.

 

Ich sah meine Video-Umfrage zum NATO-Beitritt Österreichs, welche ich im Februar 1998 begonnen hatte, obwohl auf einer realen politischen Diskussion basierend, doch eher als eine abstrakte und perspektivische Beschäftigung mit dem Krieg, lange bevor er geführt werden würde. Mit den ersten Berichten von den Bombardements der NATO-Einheiten im März 1999 musste sich etwas geändert haben. Ich begann - zunächst nur gelegentlich - aus deutschsprachigen Zeitungen Fotografien von Kriegsreportagen zu sammeln. Eines der ersten Bilder zeigte eine Handvoll loser Höfe und Wohnhäuser. Die Häuser waren von Feldern umgeben. Menschen waren keine zu sehen. Aus mehreren der Häuser stieg weisser Rauch auf. Der Rauch wurde zur dichten qualmenden Wolke und bedeckte die rechte obere Ecke der Fotografie. Er zog über die Begrenzung des Bildes und über das Bild hinaus.

 

Über den operativen Gefechten findet ein nicht weniger entscheidender Krieg der Bilder statt, dessen Verlauf nicht unwesentlich auf die Kampfhandlungen selbst zurückwirkt. Wir sehen Kriegsbilder, die in unseren Zeitungen als Bilder des Krieges abgedruckt werden. Fotografien als Effekt militärischer Operationen: Feuerwolken über der skyline von Belgrad oder Pristina, Satellitenaufnahmen strategischer Manöver bei Glodane, von Bomben zerstörte Brücken in Novi Sad, schwarzrauchende Raffinerieanlagen bei Pancevo, Flüchtlingszüge an der mazedonischen Grenze, Zeltstädte in Albanien, Massengräber ...

 

Nach einigen Wochen des Kriegsgeschehens begann ich in einer Bibliothek die vorhandenen Zeitungen nach Kriegsbildern durchzusehen. Durch eine Glasplatte fotografierte ich die Fotografien, teilweise so wie sie abgebildet waren, teilweise veränderte ich den Ausschnitt. Eine kleine Tischlampe diente mir als Lichtquelle, die ich mittels der Glasplatte auf bestimmte Stellen des Bildes spiegelte. Der Lichtkegel konnte Teile des Abgebildeten ausblenden, Dinge miteinander in Beziehung setzen oder verbinden und wurde so zum dramaturgischen Werkzeug, das den Reproduktionsprozess lenkte.

 

Es sind Bilder, die uns Beweismaterial für ein Ereignis sein sollen: Seht her, das ist geschehen. Sie sprechen von sich, als visuelle Zeichen, die nichts als den Kommentar Alles kapiert! hervorrufen wollen: sie sind, wie Serge Daney bemerkt, nichts als die optische Bestätigung des Vorgehens von Mächten. Zugleich sind diese Bilder aber immer schon Beiwerk, Illustration eines eigentlichen Kommentars, eines Zeitungsartikels, einer Bildunterschrift. Dieses sinnstiftenden Sinns entledigt, wird die Fotografie zu dem, was sie ebenso ist: ein Zeichen der Abwesenheit.

 

Der Lichtkegel der Lampe, der manchmal als Lichtkegel nur und manchmal als Lampe mit Glühbirne, als Ding, sich reflektiert. Der Spot, der seinen Schein auf die Bildsache wirft, und der Lampenkörper, der sich als Sein in den Bildinhalt einzeichnet wie eindrückt. Der Lichtschein, der, zusammen mit dem Feuerball der Bomben, Belgrad erhellt, den fotografischen Augenblick des brennenden Belgrads erhellt. Belichtet und erhellt. Und nochmals festhält. Und wieder produziert.

 

Einer dieser Aspekte der Fotografie heisst, uns selbst als Abwesende zu zeigen: Nicht selbst an Ort und Stelle zu sein, nicht Betroffene, nicht auf der Seite der Opfer. Nicht einmal nahe. Wir sind auf der anderen Seite, vom Fotografen vertreten, hinter dem schützenden Objektiv, auf der Seite der Sieger, unsere Nachrichtenagenturen vertreten uns, sie vertreten unsere Presse-Freiheit, und vertreten auch uns. Denn dieser Krieg, ob wir es wollen oder nicht, wird in unserem Namen geführt und diese Bilder für uns gemacht. Damit wir uns selbst kein Bild mehr machen müssen. Ein Bild ist ein Bild. Ist es nicht so? Godard sagt: Pas une image juste, juste une image. Kein genaues Bild, nur eben ein Bild. Ein Bild des Krieges.

 

(Christian Helbock, Juni 1999)

 

 

   

Auf Besuch bei unserem Bild von Jugoslawien

 

Ende März 1999 war die Wut in Indien riesengross. Die NATO hatte völkerrechtswidrig den souveränen Bundesstaat Jugoslawien angegriffen! Und ich hörte in diesen Kriegstagen, in denen ich in New Delhi war, laut das, was heimlich sowieso viele Inder gedacht hatten: Ich wusste schon immer, dass die NATO kein kollektiver Verteidigungs-, sondern ein aggressiver militärischer Angriffspakt ist. In Indien waren und sind die Erinnerungen an ein Jugoslawien wach, das einst zu den Gründern der Blockfreien Bewegung gehört hatte. Nehru für Indien, Nasser für Ägypten und Tito für Jugoslawien standen nicht nur für einen Weg der gewaltfreien Aussenpolitik, sondern auch für einen Sozialismus, der nichts mit dem staatlichem Dirigismus à  la Breschnew, Ulbricht oder Ceaucescu zu tun haben wollte.

 

Jenseits allen Medienrummels über die Vertreibung der Albaner aus dem Kosovo durch brandschatzende Serben, hatten die USA gute Gründe, Jugoslawien anzugreifen. Keinesfalls war in den Köpfen vieler Europäer das verblasst, was Jugoslawien einst vor vielen Ländern ausgezeichnet hatte - teils als Realität, teils nur als Luftgespinst, als nur heiss diskutierte Utopie der Praxis-Philosophen-Gruppe aus Zagreb zusammen mit unabhängigen Linken aus Westeuropa und den USA, mit etwa Herbert Marcuse, Jürgen Habermas oder Heinz Brandt. Ein Dritter Weg, ein Leben jenseits von Kapitalismus und staatlicher Kommandowirtschaft, gar Arbeiterselbstverwaltung, wo die Arbeiter einen unfähigen Chef absetzen konnten. Gewiss: Es gab innere Repression in Jugoslawien, es gab ein riesiges Missmanagement und es gab eine hoffnungslose Verschuldung der öffentlichen Haushalte. Aber: Noch nannte sich Jugoslawien kommunistisch und noch gab es nach dem Zusammenbruch Osteuropas wehmütige Erinnerungen an dieses andere Jugoslawien. Grund genug, einen solchen locus amoenus zu bombardieren. Wichtiger als versponnene Träumereien war für ein Militärbündnis wie die NATO natürlich der folgende Grund. Zwischen dem NATO-Mitglied Türkei und den NATO-Ländern Mittel- und Westeuropas gab es im Bundesstaat Jugoslawien eine riesengrosse kommunistische Armee, die neutral war und nicht der NATO unterstand. Auch das konnten die USA in ihrer uneingeschränkten Rolle als Weltpolizist nicht tolerieren.

 

Jugoslawien, hurra, wir kommen! So die Überschrift auf einem Poster auf dem Münchener Uni-Gelände im Frühjahr 1999. In einem offenen Mercedes-Cabriolet sitzen nebeneinander, friedlich vereint, drei deutsche Herren in Uniform und Frack mit feierlicher, ernster Miene. Von links nach rechts sind dies: Der deutsche Kaiser Wilhelm II, Adolf Hitler und der grüne Aussenminister Joschka Fischer. 1915 besetzt deutsches Militär Serbien, 1941 überfällt die deutsche Wehrmacht Serbien und begeht hunderte grauenvoller Massaker an der Zivilbevölkerung, 1999 beteiligt sich die deutsche Bundeswehr am NATO-Krieg gegen Serbien. Nahtlos gelingt es den Medien in diesem Kosovo-Krieg an den anti-serbischen Rassismus aus der Zeit des Ersten Weltkriegs anzuknüpfen, so wie ihn Karl Kraus in seinen Letzten Tagen der Menschheit 1941 beschrieben hatte.

 

Serbien muss sterbien: Milosevic als brutaler, hirnloser Schlächter, Milosevics Sohn als dummer, aber reicher Playboy, Milosevics Frau als böse Hexe, die im Hintergrund alles manipuliert, Serbische Soldateska, die gierig und ziellos mordet, raubt, brandschatzt und vertreibt, Serben von Nationalismus vernebelt, serbische Intellektuelle und Dichter völlig verblendet, Serben, die noch nie wussten, was Demokratie ist, Serben als Frauenschänder und -vergewaltiger, brennende albanische Dörfer, weinende albanische Frauen und Kinder - Fluchten, Fluchten, Fluchten...

 

À propos Fluchten: Lag die Zahl der albanischen Flüchtlinge vor Kriegsbeginn im März 1999 noch bei knapp 40.000 Menschen, so erreichte sie während und wegen des Kriegsbombardements der NATO im Mai 1999 ihren Höchststand von 800.000. Im übrigen sind seit der Verwaltung des Kosovo durch die sogenannte internationale Gemeinschaft, also seit dem Ende des Kosovokrieges im Juni 1999, mehr als 300.000 Serben und andere Nicht-Albaner (Roma, Bosnier, Goraner usw.) aus dem Kosovo vertrieben wurden. Davon sind nach nun sieben Jahren nur 5.000 Menschen zurückgekehrt. Schert sich eigentlich irgendjemand um diese ethnische Säuberung unter UN-Aufsicht? Im Gegenteil - als Belohnung wird den Albanern bei den in Wien gerade begonnenen Verhandlungen auch noch die Unabhängigkeit des Kosovo in Aussicht gestellt. Doch was helfen nüchterne Zahlen gegenüber vorgefassten Meinungen? Serben sind Täter - Albaner sind Opfer. Basta.

 

Kriege haben stets auch eine innenpolitische Dimension. Denn zuhause muss man der eigenen Bevölkerung den Krieg da draussen schmackhaft machen. Geschmacklos schmackhaft machte ihn der deutschen Bevölkerung ihr grüner Aussenminister Joschka Fischer, denn er hatte die deutsche Kriegsbeteiligung mit dem Hinweis Nie wieder Auschwitz! begründet. Dies war zwar ein in jeder intellektuellen und argumentativen Hinsicht völlig abwegiger und absurder Vergleich, doch er lag sozusagen im Zuge der Zeit. Hatte die US-amerikanische PR-Agentur Ruder Finn der bosnischen Regierung gegen ein gutes Honorar bereits 1992 eine weltweite Presseöffentlichkeit hergestellt, in der die Wärter KZ, Holocaust und ethnische Säuberung planend - und gezielt auf Stimmungsmache setzend - höchst erfolgreich eingesetzt worden waren, so nutzte Fischer sieben Jahre später im Kosovo-Krieg die Auschwitz-Keule, um Deutschlands Weg zu einem Sitz im Sicherheitsrat der UN vorzubereiten.

 

1989 die sogenannte Wiedervereinigung. Deutschland wird endgültig souverän. Ende des deutschen Sonderwegs. Wir sind wieder wer! Als grosse Macht muss man jetzt auch Verantwortung in der ganzen Welt übernehmen. Auschwitz ist nicht mehr spezifisch deutsch, Auschwitz ist überall. Auschwitz lauert an allen Ecken, in Kambodscha, Ruanda und nun im Kosovo. Es droht die Internationalisierung und Globalisierung von Auschwitz. Auschwitz (pardon!), Kosovo, wir kommen! Der Kosovo-Krieg als Geschenk an das Ende der sogenannten Aufarbeitung der deutschen Geschichte. Die Berliner Bundeszentrale für Politische Bildung freut sich. Pfui, Spinne. Ätzend.

 

Deutschlands Kosovo-Krieg war auch ein Krieg von Friedensforschern, Menschenrechts- und Frauengruppen. Vereint in ihrer, ach so, sicheren Kenntnis, dass die Serben ethnische Vertreibung tätigen, KZs bauen, Leichenberge in Massengräbern verstecken und Frauen schänden, konnten sie etwas tun, nicht nur demonstrieren. Während die NATO die universale Vernunft herbei bombte, bauten sie Frauenhäuser, veranstalteten multiethnische Musikabende mit Vorzeige-Serben und Vorzeige-Albanern und vernetzten per Internet bosnische mit kroatischen Friedensaktivisten. Endlich befreit von der schwierigen Notwendigkeit zur Reflexion und in völliger und hemdsärmeliger Unkenntnis von Sprachen, Religionen und Kulturen des Balkan ging es diesen Gruppen um erbarmungslose Hilfe. Ein kathartischer Übergang vom Denken zum Tun, von der (einstigen) intellektuellen Brillenschlange zum (einstigen) nordischen Tatmenschen. Wenn denn schon Deutschland wieder wer ist, dann muss man jetzt auch was tun!

 

Im zwar kleinbürgerlich verwaldheimten und verhaiderten Österreich bringt (deswegen oder dennoch) Kunst mit einer non-chalanten Autonomie Künstlergestalten hervor, die sich einen Dreck um ihr öffentliches Ansehen scheren. Unberechenbare Knorz- und Querköpfe wie Alfred Hrdlicka, Peter Handke, Alex Widner, Elfriede Jelinek oder Thomas Bernhard sind anstössig, weil es die gesellschaftliche Verlogenheit so will. Die grossen deutschen Nachkriegskünstler sind dagegen allemal (auch) Staatskünstler und öffentliche Lehrer und Be-Lehrer. Das gilt vor allem für den epochalen Erzähler Günther Grass, aber auch für den grossen Moralisten - und als literarischen Erzähler völlig überschätzten - Heinrich Böll, der als scharfer Anti-Pode des rheinischen Kapitalismus immer doch eben genau diesem Kapitalismus verhaftet blieb, wenn auch negativ gewendet.

 

In Österreich, so scheint mir, ist das anders. Der autonome Künstler ist hier niemandem Rechenschaft darüber schuldig, warum er autonom ist. Und genau deswegen verweigert sich Peter Handke einem journalistisch-politischen Dialog über Serbien und beharrt darauf, als Poet wahrgenommen zu werden. Und eine Elfriede Jelinek wird lieber krank, als dass sie zur Verleihung ihres Literaturnobelpreises nach Stockholm fährt. Sie hat ganz offensichtlich keine Lust, einer Weltöffentlichkeit per Fernsehen zu erklären, warum Kunst politisch sein müsse.

 

Es ist dieser hohe Grad an künstlerischer Autonomie, zugleich kreativ wie zerstörerisch, den ich an den sperrigen Fotocollagen und Fotomontagen von Christian Helbock spüre und schätze. Fotoarbeiten wider den Strich des Eindimensionalen - Collagen gegen das medial Formierte und Manipulierte. In den zwanziger Jahren gab es in Berlin ein Anti-Kriegsmuseum unter Leitung des Anarchopazifisten Ernst Friedrich mit Gräuelfotos aus dem Ersten Weltkrieg. Dem Mythos vom Heldentod stellte Friedrich damals brutal-realistische Fotos von Soldaten gegenüber, deren eine Gesichtshälfte von einem Schrapnell weggefetzt worden war. Den gegenwärtigen Mythos von einem sauberen Cyber- und Technokrieg entlarvt Helbock nicht dadurch, dass er ihn mit sogenannten realistischen Fotos konfrontiert, sondern so, dass er das offizielle visuelle Manipulationsmaterial der Massenmedien verfremdet und verfremdend gegen sie selbst benutzt.

 

(Jörg Becker, Februar 2006)