Christian Helbock

BETWEEN INNER AND OUTER SPACE, 2011

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© Ronny Heiremans, Katleen Vermeir, 2011 

 

 

BETWEEN INNER AND OUTER SPACE

Filmreihe im Rahmen des Vienna International Film Festivals 2011

Kuratoren: Christian Helbock / Dietmar Schwärzler

 

 

I like Inside / O like Outside

 

David Lamelas: A Study of Relationships between Inner and Outer Space, UK 1969, sw, 20 min

Nancy Holt / Robert Smithson: Mono Lake, US 1968-2004, Farbe, 20 min

Ulay: Da ist eine kriminelle Berührung in der Kunst, DE 1976, sw, 26 min

Francis Alà¿s: Walking a Painting, BE/MX/US 2002, Farbe, 4 min

Emma Wolukau-Wanambwa: A Short Video about Tate Modern, UK 2003-2005, Farbe, 5 min

 

Innen und Außen. Lamelas vergleicht Galerie und Stadtraum, deren Struktur,

Bedeutung und Verwendung. Der Kunstraum wird aufgebrochen, die Welt befragt.

Mit einem Salzsee beschäftigt sich Mono Lake. Holt brachte den Film 2004 heraus,

30 Jahre nach Smithsons Tod. Ulay inszeniert den Kunstraub als künstlerische

Aktion und deren mediale Wirkung gleich mit dazu. Die Rückgabe des aus der

Nationalgalerie entführten Spitzweg-Gemäldes «Der arme Poet» findet im Künstlerhaus

Bethanien statt. Los Angeles, April 2002: Alà¿s schickt ein Bild quer durch die Stadt

und verschmilzt seinen Gegenstand mit den ikonischen Szenen der L.A. Riots.

Wolukau-Wanambwa erzählt von Blicken des schwarzen Küchenpersonals auf

eine schwarze Künstlerin während eines Workshops in der Tate Modern.

Eine kurze, präzise Geschichte von Innen. Von Außen gesehen.

 

 


E like Enter

 

Ulay / Abramovic': Imponderabilia, YU/DE/IT 1977, sw, 10 min

Brian de Palma: The Responsive Eye, US 1966, sw, 25 min

Kurt Kren: 47/91 Ein Fest, AT 1991, Farbe, 3 min

René Frölke: Die Führung, DE 2011, sw, 37 min

 

Der Eintritt in die Kunstwelt. Die Berührung zwischen Künstler,

Kunstwerk und Besucher ist dialektisch. In der Performance von

Ulay/Abramovic muss sich das Publikum zwischen den nackten Körpern

des Künstlerpaares hindurcharbeiten, um Einlass zu bekommen.

Die Beziehung zwischen Werk und Betrachter führt auch Brian de Palma

in seinem komischen Dokumentarfilm vor, dessen Zentrum die legendäre

Op-Art-Ausstellung 1965 im MoMA ist: Bildnisse und Betrachter verschwimmen

zusehends, Rudolf Arnheim doziert dazu. 47/91 Ein Fest reinszeniert ein

Bankett im Wiener MAK als Bildertaumel. Die Trunkenheit des Publikums ist in

Krens persönliche Filmsprache übersetzt. Die Reibung zwischen Kunst, Politik

und Wirtschaft beleuchtet Führung. Der Besuch des damaligen deutschen

Staatsoberhaupts im Karlsruher ZKM am Höhepunkt der Wirtschaftskrise als

filmisches Vexierbild.

 


S like Studio

 

Bruce Nauman: Walking in an Exaggerated Manner around The Perimeter of a Square, US 1967-68, sw, 10 min

Derek Jarman: Studio Bankside, UK 1970-73, Farbe, 7 min

Carlos Vilardebà³: Le cirque de Calder, FR 1961, Farbe, 19 min

Hsieh Tehching: One Year Performance 1980-81 (Time Piece), US 1980-1981, Farbe, ohne Ton, 6 min

Friedl vom Gröller: Le Baromà¨tre, AT 2004, sw, ohne Ton, 3min

Vito Acconci: Turn-On, US 1974, Farbe, 22 min

 

Der Arbeitsraum als Welt für sich. Bruce Naumans Abhandlung ist die

Untersuchung dieses Kosmos, dessen Vorführung, seine Grenzziehung.

In Derek Jarmans Film wird das Atelier zum Lebensraum. Im Zeitraffer

wechseln Motive: Arbeit, Freundschaft, Liebe und urbanes Ambiente.

Vilardebà³s Studie ist das Porträt des Künstlers als Zirkusdirektor:

Der Produktionsraum, das inszenierte Spektakel und der Präsentationsraum

fallen in eins. Die Arbeit von Friedl vom Gröller vollzieht ein semiotisches

Wechselspiel von Zeigen und Betrachten: Der männliche Blick, die weibliche

Akteurin, gespiegelt. Hsieh Tehchings extreme Performance: Stündlich ein Foto.

Ein Jahr hindurch. Ein sechsminütiges Film-Gedicht. Turn-On gerät zum distanzlosen

Dialog mit dem Betrachter: «It's me.» «I'm waiting for you.» Bei vollem Einsatz

kann das Resümee auch so ausfallen: «I can't find any reason to do art.»

 

 


C like Collector / E like Economy

 

John Schott, E.J. Vaughn: America's Pop Collector: Robert C. Scull Contemporary Art at Auction, US 1974, Farbe, 72 min

Sadr Haghighian / Judith Hopf / Florian Zeyfang: Proprio Aperto, DE 2005, Farbe, 6 min

 

Die Figur des Sammlers. Mäzen, Connaisseur, kalkulierender Ökonom

oder Investor. Diese Ambivalenz, gepaart mit einer gehörigen Portion Humor,

zeichnet America's Pop Collector: Robert C. Scull - Contemporary Art at

Auction aus. Scull baute sich sein Vermögen mit einem Taxiunternehmen auf,

seinen Reichtum markierte er aber mit seiner Pop-Art-Sammlung. Werke von

Warhol, de Kooning, Stella oder Rauschenberg kaufte er frühzeitig ein.

1973 stehen deren Arbeiten zur Auktion: Die Vorbereitungen, Hintergründe

und Kommentare bieten ein reichhaltiges Material über die Mechanismen des

Kunstmarktes. Proprio aperto gewährt überraschende Einblicke in das

Biennale-Gelände Venedigs. Die Autoren zeigen die verwahrlosten Parcours

der Giardini außerhalb der Spielzeit. Der Subtext kreist um Gegenkulturen,

Architekturruinen und das Dasein in der Kulturhegemonie.

 

 


A like Architecture

 

Dora Garcia: Film (Hà´tel Wolfers), ES 2007, sw, 12 min

Anri Sala: Le Clash, AL/FR 2010, Farbe, 9 min

Ulla von Brandenburg: Singspiel, DE/FR 2009, sw, 15 min

Mark Leckey: Made in 'Eaven, UK 2004, Farbe, ohne Ton, 2 min

Tamar Guimarà£es: Canoas, BR 2010, Farbe, 13 min

 

Kunst und Architektur im Verhältnis. Bei Dora Garcà­a ist es Spurensuche und

Reflexion. Die Kamera gleitet durch die Räume des Henry-van-de-Velde-Gebäudes,

die Tonspur bewegt sich im Skript von Samuel Becketts Film. Um den sozialen

Aspekt geht es in Le Clash. Ein Kulturzentrum in Bordeaux, Ostberliner Plattenbauten,

Drehorgel und Spieldose: «Should I Stay or Should I Go.» Singspiel porträtiert

Le Corbusiers Villa Savoye. Eine Familiengeschichte, die um Erinnern und Vergessen

kreist: «Gestern war nicht morgen / und heute ist nicht hier.» Mark Leckey sagt über

Jeff Koons: «Ich mag die Idee von einer nahezu unmenschlichen Perfektion.»

Die Kamera umkreist Koons «Rabbit», in der sich ein leeres Atelier spiegelt.

Vom Vergangenen in der Gegenwart erzählt Tamar Guimarà£es. In der Architektur von

Oscar Niemeyer spiegeln sich Aspekte der Sozial- und Mentalitätsgeschichte Brasiliens.

 

 


M like Museum

 

Andrea Fraser: Welcome To The Wadsworth: A Museum Tour, US 1991, Farbe, 25 min

Isaac Julien: The Attendant, UK 1992/93, Farbe, 9 min

Rosalind Nashashibi / Lucy Skaer: Flash In The Metropolitan, UK 2006, Farbe, ohne Ton, 3 min

Deimantas Narkevicius: Scena, LT 2003, Farbe, 10 min

Ronny Heiremans / Katleen Vermeir: The Good Life, BE 2009, Farbe, 16 min

 

Jedes Museum erläutert, bestimmt und begrenzt Kultur. Andrea Fraser

führt durch die Geschichte öffentlicher und privater Interessen des

Wadsworth Atheneum. Isaac Julien inszeniert die Geschichte der Sklaverei

und das homoerotische Begehren eines schwarzen Museumswärters als barocke

Schwulen-Revue. Fremd gleitet die Kamera im Film von Nashishibi/Skaer

durch die nächtliche Sammlung des New Yorker Museums und erlaubt in

rhythmischen Blitzlichtern ungewohnte Blicke. Scena thematisiert

in der Architektur des Contemporary Art Center von Vilnius die veränderten

Ansprüche einer Kunstinstitution in der post-sowjetischen Gesellschaft.

Ronny Heiremans und Katleen Vermeir präsentieren das Museum als luxuriöses

Immobilienobjekt. Die zukünftigen Bewohner dürfen sich in der Aura abwesender

Warhols ihren Lifestyle-Traum erfüllen.

 

 

 

 

 

Between Inner and Outer Space

 

Der Präsentationsort und der Herrschaftsdiskurs

 

Als der amerikanische Künstler Vito Acconci 1970 zu seiner ersten großen Gruppenausstellung

ins MoMA in New York eingeladen wurde, dachte er darüber nach, welche Arbeit, die auch

etwas mit ihm zu tun hatte, er nun satte drei Monate lang in diesem Museum installieren sollte.

Nach vielen Überlegungen, so die Geschichte, entschloss er sich, einfach seine Postadresse

zu ändern und gab die des MoMA an. Während der gesamten Ausstellungsdauer ging er nun

täglich ins Museum, um dort seine Post abzuholen und erklärte diesen Akt (SERVICE AREA)

zu einer öffentlich einsehbaren Performance.

 

Neben dem damaligen Diktat, das Öffentliche mit dem Privaten zu verbinden, spielt natürlich

hier auch der Ort eine ganz zentrale Rolle. Nicht nur, dass das Museum seit jeher ein oft auch

umstrittener Ort der Präsentation, als auch der Rezeption war und ist, ging mit diesem Raum

auch stets ein Herrschaftsdiskurs einher. Die einfache Formel "weiß, westlich, heterosexuell

und männlich" definierte nur allzu lange sowohl die Sammlungspolitiken zahlreicher Institutionen

weltweit, als auch die jeweiligen Ausstellungsprogramme. Der Frauen-, Schwarzen-, Schwulen

und Lesbenbewegung, aber auch den Cultural Studies, postkolonialen und postsozialistischen

Theorien, ist es u.a. zu verdanken, dass sich diese Situation sukzessive verbesserte, obwohl

sie bis heute nicht zufriedenstellend ist. Die 1970er Jahre waren es aber auch, in denen die

sogenannte erste Generation der Institutionskritik in Erscheinung trat und ganz spezifische

interventionistische Kunstarbeiten entstanden, deren Bedeutung an jeweilige Orte und deren

Rezeption gebunden war. Relativ zeitgleich bzw. sogar etwas früher war auch die Geburtsstunde

der Land Art in den USA, einer Kunstrichtung, in der geografische und architektonische Parameter

für künstlerische Landschafts- und Raumgestaltungen genutzt wurden, durchaus mit expliziten

gesellschaftskritischen Komponenten. Unter anderem sollte der zunehmend bürgerlicher werdende

Kunstmarkt, dessen Hauptinteresse entlang steigender Spekulationen verlief, mit einer anderen

künstlerischen Form und Haltung konfrontiert werden; einer Kunstform bei der nichts, zumindest

zu Beginn, käuflich erwerbbar war, ähnlich der Performancekunst.

 

Auch für Kunstschaffende, die sich mit bewegten Bildern beschäftigten, stellten das Museum,

aber auch viele Galerien und Kunsthallen, zu diesem Zeitpunkt verlorene Orte dar. Einerseits

galt das Format Video im etablierten Kreis noch gar nicht als eigenständige Kunstform,

andererseits fanden (experimentelle) Filmarbeiten, wenn überhaupt, meist nur im Rahmen

von einmaligen Screenings eine Öffentlichkeit. Dies ist sicher mit ein Grund, wieso sich

Experimental- und Avantgardefilme im kunsthistorischen Kanon bis heute nur schwer

implementieren ließen. Aber auch die Spielpläne des klassischen Kinobetriebs firmierten

im künstlerischen Bereich nur selten als zuverlässige Partner. Selbst im Österreichischen

Filmmuseum unter der Leitung Peter Kubelkas fanden u.a. Arbeiten von VALIE EXPORT,

Peter Weibel, Hans Scheugl, Ernst Schmidt. jr, Kurt Kren, um nur VertreterInnen der

heimischen Avantgarde zu nennen, keinen Platz, was auch zu lautstarken Protesten führte.

Leerstehende Fabriks- und Lagerhallen, Studios, Wohnräume, Foyers und andere alternative

Präsentationsorte sollten mehr als ein Jahrzehnt lang, neben Filmfestivals, als bevorzugte

Auftritts- und Abspielstätten firmieren. Gegenwärtig verläuft diese Bewegung wieder rückläufig.

Selbst die alternative oder subkulturelle Kunstszene befindet sich mittlerweile in direkter Allianz

zu den etablierten Institutionen.

 

Von Innen nach Außen und wieder retour

 

A STUDY OF RELATIONSHIPS BETWEEN INNER AND OUTER SPACE (1969) von David Lamelas stand

am Beginn dieser Filmschau; in ihm werden indirekt auch einige bereits genannte Aspekte deutlich.

Lamelas auf 16mm gedrehter Film nimmt einen leeren Galerieraum als Ausgangspunkt, um aus

einer Mikrostruktur eine Makrostruktur zu erschließen. Er skizziert in Folge die sozialen, städte-

baulichen, soziologischen und klimatischen Bedingungen Londons, und endet letztlich über einfache,

subversive Straßeninterviews bei der Mondlandung. So fragt Lamelas einen wird ein Passant gefragt,

ob es ihn wundern würde, wenn ein Schwarzer ein anderes mal ein Chinese als Erster

den Mond betreten würde? Der Passant antwortet, dass es nur insofern eine Überraschung

wäre, weil kein Schwarzer in der amerikanischen Astronauten-Crew vertreten sei. Einschluss-

bzw. Ausschlussverfahren, das Verhältnis von Innen- und Außenraum werden in Lamelas

augenzwinkernden Erkundigung und Verhandlung ebenso konstant zur Disposition gestellt,

wie in Isaac Julien's poppig-queerer Repräsentationsstudie THE ATTENDANT (1993),

in Francis Alà¿s's WALKING A PAINTING (2002) oder in Emma Wolukau-Wanambwa's A SHORT

VIDEO ABOUT TATE MODERN (2003-2005). Während Julien das Bild Scene on the Coast of Africa

des französischen Malers F. A. Biard als Tableau Vivant sadomasochistischen Begehrens

zwischen Männern unterschiedlicher Ethnien appropriiert, lässt Alà¿s anhand des Transportes

eines Gemäldes die Ereignisse rund um die LA Riots 1992, die mit der Misshandlung Rodney

Kings durch weiße Polizisten begannen, exakt zehn Jahre später nochmals Revue passieren.

 

Wolukau-Wanambwa hingegen stellt konkret die Frage nach der Sichtbarkeit von nicht-weißen

Kunstschaffenden in einem öffentlichen Kunstraum im Verhältnis zum Personal. Dass die Hautfarbe

weiß in einem westlichen Kontext als jene gilt, die a priori einfach ist, ohne befragt zu werden,

konstatierten KulturtheoretikerInnen wie bell hooks, Richard Dyer oder Stuart Hall schon in

den 1990er Jahren. Dies war auch das Jahrzehnt in dem eine zweite Generation an Institutions-

kritikerInnen zum Vorschein kam, wobei Andrea Fraser zu deren bekanntesten ProponentInnen

zählt. Bekannt wurde Fraser vor allem über ihre Führungen durch Kunstinstitutionen, in denen sie

kritisch die Strukturen, Hierarchien, Präsentationsformen und Auschlussmechanismen befragt.

THE PUBLIC LIFE OF ART: THE MUSEUM (1988) ist ein Frühwerk dieser Serie, in der das Museum

unter historischen Gesichtspunkten ebenso erläutert wird, wie unter der angebotsorientierten

Wirtschaftspolitik der Ära Ronald Reagans, die spezifisch gesetzte Werbe- und Sponsoring-

maßnahmen im Kunstbereich einforderte. Mit MUSEUM HIGHLIGHTS: A GALLERY TALK (1989)

und WELCOME TO THE WADSWORTH: A MUSEUM TOUR (1991) führt Fraser ihre investigative

Herangehensweise fort. In Form der fiktiven Kunstvermittlerin, die den Namen Jane Castleton

trägt, durchleuchtet sie das Museum sowohl von Innen als auch von Außen ohne postkoloniale,

historische, ökonomische, bauliche und geschlechtsspezifische Facetten auszulassen.

 

Auch die präzise geplante, politisch motivierte Kunstaktion DA IST EINE KRIMINELLE BERÜHRUNG

IN DER KUNST (1976) von Ulay greift den Kunstbetrieb ganz unmittelbar an und bringt den Künstler

letztlich auch vor Gericht, welches ihm die Wahl zwischen einer Gefängnis- oder Geldstrafe anbietet.

Ulay verlässt daraufhin Deutschland, wird aber zwei Jahre später bei einem Zwischenstop am

Flughafen in München aufgegriffen und muss eine Geldstrafe berappen. Seine Aktion beschreibt

er selbst wie folgt:

1. Ich hänge vor dem Haupteingang der Hochschule der Bildenden Künste eine Fotofahne 2,50m

    bei 2m Motiv: Reproduktion des Spitzweg-Gemäldes »Der arme Poet«.

2. Ich fahre mit eigenem Wagen zur Neuen Nationalgalerie.

3. Parke Wagen an der Rückseite der Neuen Nationalgalerie.

4. Gehe in die Neue Nationalgalerie.

5. Entferne aus der Neuen Nationalgalerie das Gemälde von Carl Spitzweg »Der arme Poet«.

6. Ich laufe aus der Neuen Nationalgalerie zu meinem Wagen.

7. Fahre in Richtung Berlin-Kreuzberg.

8. Stelle Wagen ab 800m vor dem Künstlerhaus Bethanien in Berlin-Kreuzberg.

9. Laufe mit dem entfernten Spitzweg-Gemälde weiter zum Künstlerhaus Bethanien.

10. Hänge vor den Haupteingang des Künstlerhaus Bethanien eine Farbreproduktion des

Spitzweg-Gemäldes »Der arme Poet«.

11. Ich laufe vom Künstlerhaus Bethanien 150m weiter mit entferntem Spitzweg-Gemälde

in die Muskauerstraße.

12. Ich betrete ein Haus für Gastarbeiterfamilien.

13. Ich gehe in die Wohnung einer türkischen Gastarbeiterfamilie.

14. Hänge das entfernte Spitzweg-Gemälde »Der arme Poet« in der Wohnung der türkischen

Gastarbeiterfamilie an die Wand.

(Ulay) (1)

 

 

Schwellenerfahrung

 

Das Betreten eines Kunstraumes lässt sich mitunter als Schwellenerfahrung bezeichnen.

Die Vernissage markiert dabei eine Art Zone, in der eine Öffentlichkeit und die spezifischen

Ausstellungsobjekte erstmals aufeinander treffen. Das Publikum, wie auch zahlreiche

Kunstschaffende, wissen diesen Zwischenraum als öffentliches Ereignis zu nutzen, um

sich zu zeigen, zu reden, sich zu informieren, eine Meinung zu bilden und diese zu äußern.

"Natürlich" zeigt sich auch dieser Raum bzw. dieses Ereignis als verhandelbar.

 

In IMPONDERABILIA (1977) wird der Zugang zu einer Ausstellung von Ulan / Abramovi durch

ihre nackten Körper in der Eingangstür erschwert und die Besucher und die Besucherinnen zu

einer aktiven Inbezugsetzung herausgefordert. Brian de Palmas frühe Arbeit THE RESPONSIBLE

EYE (1966) bleibt hingegen dem Dokumentarischen verpflichtet. Die Eröffnung der legendären

Op-Art Ausstellung im MoMA 1965 erscheint bei ihm als lebendige und höchst amüsante

Zusammenschau eindrücklicher Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Disziplinen wie Kunst,

Mode oder der Psychologie. In dem in Einzelbilder aufgenommene Film 47/91 EIN FEST (1991)

von Kurt Kren dienen die Räumlichkeiten des Wiener MAK nur noch als angemietete Partylocation

für die Jubiläumsfeier der damals noch existierenden ORF-Sendereihe Kunststücke.

 

DIE FÜHRUNG von René Frölke hingegen nimmt den Besuch des ehemaligen deutschen

Bundespräsidenten Horst Köhler im ZKM Karlsruhe unter die Lupe; oder vielmehr das Aufgebot,

das von der Museumsleitung inklusive Entourage in Szene gesetzt wird. Die Kunstinstitution

fungiert hier zugleich als voyeuristisch und exhibitionistisch einsehbarer Raum, der die Differenz

zwischen Kunst und Politik über die Sprache kalmiert, ohne sie auslöschen zu können. Das Atelier

als Produktionsort, Aktions- und Lebensraum Das Studio oder Atelier ist ein phantasmatischer Ort,

indem, so eine herkömmliche Annahme, Künstler unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit,

zumindest seit der Romantik, Arbeiten für die Kunsträume dieser Welt herstellen. Diese einerseits

vom Geniekult, andererseits von einem in sich geschlossenen System getragene Auffassung rief ab

den 1960er Jahren scharfe Kritik hervor und sollte in den 1990er Jahren durch einen Abkehr vom

Atelier, auch aufgrund neuer Kunstpraktiken, eine Revision erfahren. In dem mittlerweile

kanonisierten Text DIE FUNKTION DES ATELIERS charakterisiert Daniel Buren das Atelier treffend

als eine "Mischung aus Produktionsort, Lagerhalle und Verkaufsraum", von dem er sich allerdings

später als Künstler resigniert abwendete und fortan "in situ", also vor Ort, seine Kunstarbeiten

realisierte (2).

 

Im Gegensatz dazu stellte für Vito Acconci, Bruce Nauman oder auch Paul McCarthy das Atelier

zentraler Bestandteil ihrer Auseinandersetzung mit Kunstpraxen dar, fungierte als Thema und

Material zugleich. Besonders Bruce Nauman entwarf seit den 1960er Jahren eine Kartografie

seiner Arbeitsstätte, die mit der 7-teiligen Videoinstallation MAPPING THE STUDIO II (2003)

einen Höhepunkt fand. Mit MANIPULATING THE T-BAR (1966) kehren wir an seinen Anfang zurück.

Nauman arrangiert eine skulpturale Form, bestehend aus zwei Röhren, in unterschiedlichen

Varianten und Blickwinkeln entlang der architektonischen Parameter seines Studios.

MIt WALKING IN AN EXAGGERATED MANNER AROUND THE PERIMETER OF A SQUARE (1967-68)

kehren wir an seine Anfänge zurück. Mit einem einfachen geometrischen Setting, das aus zwei

am Fußboden ausgeklebten Quadraten besteht, tut Nauman genau das, was er im Titel beschreibt.

Während bei Nauman die Aktion im Raum sowohl einer Vermessung, als auch der Befragung

von Körperposen dient, präsentiert sich das Atelier in Derek Jarmans STUDIO BANKSIDE (1970-73),

aber auch Carlos Vilardebà³'s LE CIRQUE DE CALDER (1961), als sozialer Raum. Bei Jarman sind

es die Besuche von Freunden, Freundinnen, Geliebten und Bekannten, die er in Kombination mit

unzähligen Objekten auf Super8, primär als Erinnerung für sich selbst, aufzeichnet und später

mit der Musik von Coil vertont. Der Bildhauer Alexander Calder wiederum lädt die Pariser-

Avantgarde-Szene in sein Studio und bietet eine spektakuläre, von ihm und seiner Frau großartig

inszenierte Zirkusaufführung, deren Artisten er selbst in liebevoller Handarbeit kreierte und die

heute in der Sammlung des Whitney Museums vorzufinden sind.

 

Chris Burden, Hsieh Tehching oder und Friedl vom Gröller verwenden das Atelier bzw. im Falle

von Burdens SHOOT (1971) die Galerie als Handlungs- und auch Lebensraum für ihre Performances,

welche auch die Ökonomie und das Aufmerksamkeitspotential von Kunst thematisieren. Der

radikale Einsatz des eigenen Körpers stehten im Zentrum bei Burden und Tehching, während

Friedl vom Gröller ihren Körper als spielerische Oberfläche verwendet, in den sich stets der

Prozess des Alterns miteinschreibt. In dem Super8mm Film THE STUDIO (1978) von Geta

Brà¢tescu, den ihr Künstlerkollege Ion Grigorescu drehte, verschmelzen in Abgrenzung zum

rumänische n Stalinimus, ganz nach dem Avantarde-Prinzip Arbeit und Leben komplett.

Der Arbeits- und Lebensraum manifestiert sich als Erweiterung des eigenen Körpers. Der

während des kommunistischen Regimes abwesende private Raum und der individualisierte

Körper konstruieren eine wechselseitige Beziehungsstruktur. Ökonomie und Architektur

Ökonomische Aspekte des Kunstbetriebes ziehen sich wie ein roter Faden durch die sechs

Programme der Schau. Sei es eine Mischung aus Profit und Leidenschaft ausgerichtete

Sammlungspolitik wie die des Sammlers Robert C. Scull (AMERICA'S POP COLLECTOR:

ROBERT C SCULL CONTEMPORARY ART AT AUKTION, 1974), vom Verfall geprägte Pavillons

in den Giardini der Biennale von Venedig außerhalb der Biennalezeit (PROPRIO APERTO, 2005),

Vermietungen der Museums-Räumlichkeiten für Society-Events (47/91 EIN FEST, 1991), oder

Adaptionen von Ausstellungsräumlichkeiten als elitäre Life-Style-Immobilien (THE GOOD LIFE, 2009).

 

Als Erweiterung des Themenfeldes ist auch ein Programm den Gebäuden bekannter Architekten

 Le Corbusier, Oskar Niemeyer, Henry van de Velde gewidmet, deren Verwendung, filmische

Aufzeichnung und Präsentation in der Gegenwart, jenen von klassischen Kunsträumen gleicht.

Die Architektur selbst generiert das Ausstellungsobjekt, allerdings meist mit performativen

Elementen (CANOAS, 2010; SINGSPIEL, 2009) oder medialen Inszenierungsmechanismen

(FILM: HOTEL WOLFERS, 2007) angereichert. Anri Sala montiert in seinem geradezu meditativen

Video LE CLASH (2010) eine Konzerthalle in Bordeaux mit Plattenbauten im Osten Berlins

ineinander, raubt zugleich dem zu hörenden Song "Should I Stay or Should I Go" der im Titel

genannten britischen Punkband den rebellischen Gestus und verlagert die Aufmerksamkeit

auf die kollektiv verankerte Textzeile. Wie die Nutzung und Funktion von Architektur unter

neuen Parametern verläuft, zeigt schließlich SCENA (2003) von Deimantas Narkevicius.

In dem ehemaligen sowjetischen, modernistischen Zweckbau, der zum 50-jährigen Jubiläum

der Oktoberrevolution errichtet wurde, ist heute das Zentrum für Zeitgenössische Kunst in

Vilnius beheimatet, dessen Programm nicht mehr politische Repräsentation, sondern innovative,

aktuelle Kunst auszeichnet.

 

Hintergrund, 150 Jahre Künstlerhaus Wien

 

Im Fokus des Viennale Specials BETWEEN INNER AND OUTER SPACE stehen also Kunsträume:

das Museum, die Galerie, die Kunsthalle als zentrale Orte der Präsentation, aber auch das Atelier

oder Studio als Produktionsstätten. All diesen Räumen gemein ist eine ideologische Implikation:

kein Raum, keine Aktion darin lässt sich a priori als neutral bezeichnen. Eine große, die Schau

definierende These zu Beginn der Recherche hatten wir nicht, nur viele Ideen und Vorstellungen,

die im Laufe der Zeit aus den unterschiedlichsten Gründen (Verfügbarkeit, Platzmangel,

unterschiedliche Auffassungen usw.) kondensiert werden mussten. Vielmehr verfolgten wir

das Ziel, die Filme und nicht unser Konzept in den Vordergrund zu stellen und aus diesen

heraus die Programme bzw. deren thematischen Richtlinien zu entwickeln; sozusagen aus

dem Detail etwas Allgemeines herauszufiltern. Allerdings ist an dieser Stelle auch weniger

mit einer Conclusio zu rechnen, als vielmehr mit einzelnen Spuren die wir in den Programmen

legen und Fragen, die wir stellen. Was unterscheidet einen Kunstraum von jedem anderen

beliebigen Raum? Inwiefern zeigen sich Bruchstellen, Ökonomien und künstlerische Haltungen

innerhalb des Berufsfeldes Kunst? Präsentiert sich in den Kunsträumen tatsächlich das

Tätigkeitsfeld Kunst oder nur eine Vorstellung davon? Wo lassen sich Ambivalenzen zwischen

Institutionskritik und der Auseinandersetzung mit einer Institution verorten? Und zuletzt:

Erscheinen Film oder Video als zeitbasierende Medien besonders geeignet künstlerische Reflexionen,

Herangehensweisen, Befragungen, Kritiken zu transportieren?

 

Die sechs Programme der Schau bestehen überwiegend aus kurzen Filmen, die thematisch

gruppiert sind und in welchen ästhetische, ökonomische, performative, architektonische

und politische Fragestellungen miteinander kommunizieren. Das 150-jährige Jubiläum

der 1861 gegründete "Gesellschaft bildender Künstler Österreichs, Künstlerhaus" stand

am Beginn als Anlass, um das hauseigene Kino, das seit Jahren auch Spielstätte der VIENNALE ist,

mit Filmen und Videos von Kunst- und Filmschaffenden zu bespielen, die sich innerhalb einer

Institution mit ihrem unmittelbaren Kontext beschäftigen. Natürlich kann das Programm nur

eine subjektive Auswahl sein, die viele Auslassungen inkludiert; eine konzise Momentaufnahme,

die eine lustvolle Analyse genauso in sich birgt, wie die Liebe zum Experiment.

 

(Dietmar Schwärzler)

 

(1) Siehe: www.medienkunstnetz.de/werke/da-ist-eine-kriminelle-beruehrung/

(2) Vgl. dazu Vorwort von Isabelle Graw in Texte Zur Kunst, Heft 49, Jg.13, Berlin 2003.

Die gesamte Ausgabe ist dem Themenfeld "Atelier" gewidmet. DANK: Christa Benzer,

Florian Berktold (Hauser & Wirth), Christoph Bichon (Light Cone), Peter Bogner,

Lindsay Bosch (Video Data Bank), Rebecca Cleman (Electronic Arts Intermix), Stuart Comer,

Philipp Fürnkäs, Michaela Grill, Nanna Heidenreich, Hans Hurch, Angelika Ramlow (Arsenal Berlin),

Doris Leutgeb (Generali Foundation), Melanie Ohnemus, Andrea Picard, Sasha Pirker,

Isabella Reicher, Johannes Schweiger, Mike Sperlinger (LUX), Eduardo Thomas, Gerald Weber,

Gerhard Wissner, Florian Wüst, Theus Zwakhals (Montevideo).