Christian Helbock

ROT/TOR/ORT, 1992

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ROT/TOR/ORT, 1992, Bücherei Grundsteingasse, Wien (Fotomontage)

 

 

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Entwurfsskizze


ROT/TOR/ORT 

Konzept

 
Die Fassade des Gebäudes Grundsteingasse 48-56, das heisst jener Teil, welcher die Städtische Bücherei beherbergt, soll ästhetisch verändert werden. Dabei sind mehrere Gegebenheiten zugleich die Voraussetzungen der künstlerischen Arbeit. Einerseits ein mehr formaler Aspekt, der sich auf die architektonische Vorlage bezieht, andrerseits ein mehr inhaltlicher Aspekt, welcher das gesellschaftliche Interieur mitdenkt und nicht zuletzt der städtische Rahmen (kontextuelle Raum), welcher das Gebäude im engeren und gleichzeitig weiteren Sinn definiert.

 

Die ästhetische Arbeit oszilliert zwischen inhaltlichen und formalen Anregungen, wobei die Fassade als nicht bloss metaforischer ORT verstanden wird, an dem es zur Vermittlung innerer und äusserer Prozesse kommt. So gesehen ist die Fassade ein TOR zwischen dem inneren (sozialen) Text und dem äusseren (urbanen) Kontext. Die Räume im Erdgeschoss werden von der Städtischen Bücherei eingenommen, jene der Stockwerke eins bis drei von einer naturwissenschaftlich-mathematisch ausgerichteten Hauptschule. Die Tatsache, dass es sich hier zweifach um einen ORT handelt, der direkt mit Wissensvermittlung bzw. Informationsvergabe zu tun hat, ist für das ästhetische Konzept von grundlegender Bedeutung. Wie Austausch und Tansformation von Wissen auf Kommunikationssystemen beruhen, etwa auf dem der alfabetischen Schriftsprache, so gründen sich Sprachen auf gesellschaftlichen Übereinkünften und Abstraktionen. Im Buchstaben der gedruckten Letter begegnen sich das Bedeutung vermittelnde, sprachliche Zeichen und sein abstrakter Wert, wie folglich ein zunehmend reduzierter Grossbuchstabe insbesondere in seiner digitalen Auflösung tatsächlich zum reinen, geometrischen Bildzeichen verschmilzt.

 

 

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(ORT)

 

 

Die architektonische Vorgabe bietet ein übersichtliches Bild. Die Fassade ist klar in vier Ebenen unterteilt. Über dem Erdgeschoss, das aus einer sechsteiligen Portaltür, sowie aus links und rechts davon angeordneten Fenstern, besteht, liegen drei, einander formal entsprechende Teile. Dadurch, dass ausschliesslich das linke Fenster des untersten Geschosses in den darüberliegenden Stockwerken seine jeweilig formale Spiegelung gefunden hat, ergibt sich auf der rechten Fassadenhälfe eine grosszügige, weil freie Fläche. Diese zieht das Augenmerk umso mehr auf sich, als die untere Ebene mit Tor, Fenstern, Büchereilogo, Aufschrift: Städtische Bücherei und Fahnenstange voll durchgearbeitet ist bzw. dagegen angefüllt erscheint.

 

Vor dem Hintergrund dieser sich anbietenden Fläche findet nun ein ästhetisches und zugleich sprachliches Experiment statt, welches sich wechselweise auf den sozialen (inhaltlichen), den architektonischen (formalen) und den urbanen Kontext bezieht. Das ästhetische Zeichen: ROT/TOR/ORT, durch einfachen Wechsel der Buchstabenreihe ausgelöst, verweist über die es bedingenden Ordnungen (z.B. die der Ästhetik, der Sozietät, der Architektur, usw.) hinaus auf Kommunikation als Praktikabilität von Sprache und über diese auf deren mehr ästhetische Verwendung die künstlerische Gestaltung selbst.

 

 

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 (TOR)

 

 

Über die geometrische Ordnung des Eingangportals ergibt sich ein sechsteiliges Zeichen, das wiederum auf die Fassade als Ganzes übertragen werden kann und somit zum vermittelnden quasi-architektonischen Schema taugt. Die Annäherung von ästhetischen und architektonischen Zeichen (ROT/TOR/ORT) ergibt sich über die Möglichkeit, den drei alphabetischen Elementen drei farbliche in Form der Grundfarben: ROT, Blau und Gelb zuzuordnen. Erst über diesen Schritt gelangt man zur logischen Verknüpfung inhaltlicher und formaler Bezüge, das heisst zur mehr oder weniger restlosen Begleichung unterschiedener ORTe mittels dem Relais (ROTOR) einer durchwegs ästhetischen Schriftsprache

(ROT/TOR/ORT).

 

 

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         Blau                     (ROT)                     Gelb

 

 

Das Einfügen des so gewonnenen ästhetischen Zeichens in die architektonische Bildebene ergibt sich aus den Proportionen der Türfelder einerseits, den weitergedachten Linien der Fensterkanten andererseits und letztlich auch aus den Massverhältnissen der Fassade selbst. Die architektonische Struktur wird noch dazu, wie der überraschte Blick zeigt, von der Diagonale des ästhetischen Zeichens (auslaufendes R) kommentiert.

 

Die künstlerische Arbeit gewinnt daraus ihren letzten Impetus. Es folgt zwangsläufig ein Umschlagen von ästhetischem Zeichen auf architekturale Elemente, wie dies Tür und Fenster sind. Mittels Übersetzung der drei Grundfarben in Grauwerte hat dieser Prozess seinen Abschluss. Die Eisenrahmen von Fenster und Portal werden so, dem immanenten Plan gemäss, ebenfalls erneuert und durch einen komplementären Anstrich dem Gesamtbild eingepasst.

 

Zum städtischen Umfeld (urbaner Kontext) ist abschliessend zu sagen, dass dieses ebenfalls die Absicht bekräftigt, für die Gestaltung hauptsächlich den oberen Gebäudeteil zu berücksichtigen. Zum einen öffnet sich die Fassade auf einen kleinen Platz und kann also von grösseren Entfernungen und von unterschiedlichen Winkeln bzw. Standpunkten aus übersehen werden. Andererseits wird im Herausheben der oberen Fläche so etwas wie ein Kontrapunkt gesetzt zum gewohnheitsmässigen Umgang mit Fassaden, wie er in umliegenden Geschäftsstrassen studiert werden kann, wo grossteils ausschliesslich die Ebene der Geschäftlslokale durchgestaltet wird, was wiederum einen bestimmten, auf Augenhöhe beschränkten Blick installiert. Dass der grosse ästhetische Zeichenraum: nicht allein mit Farbe, sondern in Plexiglas ausgeführt werden soll, resultiert ebenfalls aus diesem kontextuellen, städtischen Bezugsrahmen, in welchem Neon oder Plexiglas zwei Ausdrücke einer unüberhörbaren urbanen Sprache geworden sind. Die Beständigkeit und farbliche Brillianz des Kunststoffes hat einen nicht unwesentlichen Anteil an dieser Entscheidung.

 
(Christian Helbock, 1992)