CELLE WELT VON A-Z, 2014
CELLE WELT VON A-Z, Künstlerbuch, 160 Seiten, Steinverlag, 2014
Ein Alfabet der Unendlichkeit
A4
Gleich zu Beginn zwei Fragen. Erstens: Wenn am Anfang das Wort war, wie
lange hat es gedauert, bis das Bild kam? Und zweitens: Welche Art von
Verbindungen gingen Bilder und Worte sodann ein? Stillschweigend wollen
wir davon ausgehen, dass nicht bloß ein einzelnes Wort einem einzelnen
Bild gegenüberstand. Realiter haben wir es stets mit Vielheit zu tun, auch
wenn wir idealiter Einheit wünschen. Worte sprechen keine Bilder aus und
Bilder bilden niemals nur Worte ab. Wir haben es mit Verhältnissen, mit
sinnlichen oder sinnstiftenden Beziehungen zwischen unterschiedlichen
Elementen zu tun. Ordnungssysteme oder Normgrößen (Alphabet und A4-
Format) können dabei hilfreiche Vermittlungsarbeit leisten. (1)
Beziehungsarbeit
Im Rahmen von "Beziehungsarbeit - Kunst und Institution", der Jubiläums-
ausstellung zum 150-jährigen Bestehen der KünstlerInnenvereinigung Künstlerhaus,
hat CELLE ihre ersten öffentlichen Auftritte. In der Presseaussendung schreibt
der Kurator Martin Fritz: "Für die Dauer der Ausstellung sind alle Aktivitäten der
Gruppe öffentlich zugänglich." Die Eröffnungsperformance CELLE AGIERT gerät
selbst zur Beziehungsarbeit zwischen AkteurInnen und BesucherInnen, das
Vernissagepublikum wird mit gelben Warnwesten eingekleidet. Ein normierter
Alltagsgegenstand vereinheitlicht die Anwesenden mittels seiner Signalfarbe
und schafft nebenbei eine neue poetische Ordnung: Jene von WestenträgerInnen
und Nicht-WestenträgerInnen. (2)
Collection
Ziel des CELLE-Kollektivs ist Kommunikation und Austausch. Für das Projekt
SARAJEVO TRANSIT wird die Zeichnung als Medium gewählt und zum Ort
des Geschehens gemacht: "Die Handlungsfelder sind programmatisch nicht
begrenzt und die Ausdrucksformen werden je nach Gegebenheit bestimmt".
Ausgetragen werden diese Prozesse auf dem Zeichenpapier (Format DIN-A4)
und über den Internet-Blog (http://celle.k-haus.at/blog). Die Ausstellung
im Collegium Artisticum in Sarajevo wird dabei zum temporären Text: zum
Transitraum. Die etwa 500 Zeichnungen münden später in eine exemplarische
Auswahl (COLLECTION), werden einheitlich gerahmt und zusammen mit
einer dafür geschaffenen Depot- bzw. Transportkiste, die auch gleichzeitig
ein benützbares Sitzobjekt ist, gezeigt. Als Hintergrund für die Zeichnungen
werden Blog-Inhalte formalisiert und in eine Wandtapete übersetzt. (3)
democratise
Noch eine Frage: Gibt es so etwas wie eine formale Demokratie der Bilder?
Ein Ordnungssystem, in dem sich Bilder gleichwertig und wie von selbst
anordnen (fast ohne Zutun) und dabei überraschende Beziehungen eingehen?
Gibt es, wollen wir also wissen, ein piktorales Alphabet? Das vorliegende
Buch stellt eine solche poetische Ordnung vor. Gleichzeitig behandelt es
immer wieder zentrale Themen: Kollektiv, Zusammenarbeit und AutorInnenschaft.
Die Methode ist die des wiederholten Befragens der Zusammenhänge. Einige der
hier versammelten Bilder aus dem Internet erhalten so einen neuen Kontext im
CELLE-Blog (http://celle.k-haus.at/). Der Blog dient den CELLE-Mitgliedern als
Platt- und Organisationsform, auf der sie ihre "Bilder der Welt" ausbreiten, über
die sie ihre Bildfindungen kommunizieren. Dieses interne System wurde auf
Ausstellungen übertragen (SARAJEVO TRANSIT, COLLECTION) und dient auch
der vorliegenden Publikation als Modell. (4)
Erkundet
Im Sommer 2011 formiert sich eine Gruppe in gelben Warnwesten zu einer
Expedition. Untersuchungsgegenstand ist das Künstlerhaus Wien. Einige
ForscherInnen sind wie für eine Höhlenwanderung mit Taschen- oder Stirnlampen
ausgerüstet. Die Veranstaltung CELLE ERKUNDET ist öffentlich
und Teil des Projekts BEZIEHUNGSARBEIT. Der Weg führt durch die
verborgenen Räume des Hauses und zeigt die toten Winkel der Institution.
Es ist ein mäandernder Parcours, der durch Tiefgeschosse und über
verwinkelte Treppensysteme führt. Er endet auf fragilen Leitern am Dach.
Von oben erschließt sich der urbane Kontext. Von hier aus gelingt ein Blick
auf die Welt. (5)
Fäden
Für dieses Buch gibt es keine spezielle Handlungsanleitung. Es gibt mehrere
Wege es zu benützen. In erster Hinsicht ist es ein Bilderbuch. Die
vielen Bilder erzählen die Geschichte von CELLE. Es mag sich gelegentlich
ein leichter Taumel einstellen, eine Art Schwindelgefühl, eine sinnliche
Verstrickung. Die erste "offizielle" Aktion von CELLE war die symbolische
Besetzung eines schon länger reklamierten Versammlungsraumes. In
CELLE VERSPANNT wurde eine kleine Abstellkammer (Zelle) im Wiener
Künstlerhaus durch ein Gewirr von Schnüren markiert. Diese künstlerische
Form der Selbstermächtigung war so etwas wie der sichtbare Gründungsakt
von CELLE. (6)
Eine letzte Frage: Gibt es den roten Faden? Die Antwort: Ja, es gibt ihn.
Alle Bilder im folgenden Teil A-Z sind über ein Raster organisiert. Jede
Doppelseite ist in acht gleiche Rechtecke unterteilt. In jedem Rechteck
befindet sich ein Bild. Die Position des jeweiligen Bildes ergibt sich auf
zweierlei Weise: über die begriffliche Zuordnung zu einem Wort (und
dessen Anfangsbuchstaben im Alfabet) und über die nummerische Reihung
(innerhalb der Gruppe der Wörter mit gleichem Anfangsbuchstaben).
Jedes Bild hat eine eindeutige Zuweisung über einen Buchstaben und eine
Zahl. Darüber wird auf einen Begriff verwiesen, der im Index gefunden
werden kann. Die Begriffe ergeben sich meist aus den Celle-Blog-Beiträgen
und zeigen wieder, dass der Blog ein wichtiger Referenzpunkt ist. Auf jeder
Doppelseite dieses Buchteils ist die Bewegung der Bilder über das
Unendlichkeits-Zeichen (der umgefallenen vielleicht schlafenden Ziffer 8)
organisiert. Der Schlaf der Vernunft mag für gewöhnlich Ungeheuer gebären.
Gelegentlich aber sind seine Findlinge ungeheuer poetisch. Und werden
schöne Bücher.
(1) Vgl. A 1, SARAJEVO TRANSIT
(2) Vgl. B 12, BEZIEHUNGSARBEIT, ERKUNDET
(3) Vgl. B 5, COLLECTION, KOOPERATION, S 1, SARAJEVO TRANSIT, V 1, ZUSAMMENARBEIT
(4) Vgl. D 3, D 7, http://celle.k-haus.at, E 4, P 3
(5) Vgl. P 5, S 37
(6) Vgl. A 17, F 1, I 5, K 5, N 6, N 8, etc.