Christian Helbock

WAR WAS, 2014

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Fotos © Manfred Litscher/HGM

 


 

CELLE: WAR WAS

 

Wie und mit welchen künstlerischen Mitteln kann eine Institution

wie das Heeresgeschichtliche Museum bespielt und gleichzeitig

thematisiert werden? Die Antwort des KünstlerInnenkollektivs

CELLE ist eine grossangelegte performative Prozession durch

die realen wie mentalen Räume des Hauses. Ein vielgliedriger

und vielstimmiger Tross bewegt sich durch die Sammlung und

interveniert an einzelnen Stationen mit den historischen Beständen.

 

WAR WAS ist als einmaliges synästhetisches Spektakel angelegt.

Das Verwischen konventioneller Grenzen zwischen den Medien ist

konstitutiv. Für diesen Abend ist die Unterscheidung von "AkteurInnen"

und "BesucherInnen" zweitrangig. Alles wird Tross.

 

 

 

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© Celle, Einladungskarte

 

 

Pressetext

 

WAR WAS ist ein stimmgewaltiger und vielgliedriger Tross von annähernd

100 Mitwirkenden, der mit vielfältigsten ästhetischen Mitteln die mentalen

Räume des Krieges durchschreitet. Herolde und Parzen, Beschwerdechor

und Flüstertunnel, eine Pop-Performance von Gun-Girls und rituelle Kampf-

sportszenen bilden einen bunten Totentanz, eine Museumstour, eine zitatenreiche

Tour de force. Multimediale Installationen und Projektionen, filmische Melonen-

schlachten, Rockmusikfragmente, Tafelmalerei und kalligrafische Dramenbleche,

Literatur und Schauspiel transportieren die Inhalte.

 

Anlässlich des 100sten Jahrestages des Beginns des 1. Weltkriegs gibt es zahlreiche

Veranstaltungen und auch Ausstellungen. Kaum ein Ort ist allerdings geeigneter

als das HGM; es ist einzigartig, sich gerade hier auf die lange Geschichte und die

Kontinuität der Ereignisse zu beziehen. Das Museale wird - endlich - mit dem

Lebendigen konfrontiert.

 

Hiess es bisher: der Krieg gehört ins Museum, heisst es nun: der Krieg kommt

ins Museum. Die Museumslandschaft wird zur Kriegslandschaft (Kurt Lewin), zum

Ort der Gefahr. Aus den Särgen steigen Klageweiber, vor dem Bild der Türkenschlacht

wird Walzer getanzt, zwischen Mordinstrumenten tummeln sich Liebespaare und Tode,

in der Ruhmeshalle ertönt martialisches Kampfgeschrei. Von den Stiegen her flüstert

ein Chor die Todesbotschaft. All dies begleitet von bandagierten Widergängern,

traumatisierten und nachhaltig Verwundeten.

 

 

Mitwirkende:


CELLE

Jeremias Altmann  Judith Baum  Karin Binder  Michael Endlicher  

Heidemarie Gasser   Christian Helbock   Regina Moritz

Bettina Patermo   Christian Rupp   Roman Scheidl   Elli Schnitzer

Karin Seidner   Maria Temnitschka   Jana Winter


WIENER BESCHWERDECHOR

Leitung: Oliver Hangl, Stefan Foidl

 

KAMPFKUNSTFORUM WIEN

Gunther Attarpour

Teamleiter: Homayoun Hormozan

Team: Nora Camilla  Josefa Groszschedl  Ursula Handschuh

Oliver Kropf  Chuen An Liang  Ying Yu Liang   Michael Luu 

Hinna Mohammad  Artur Udartsev


TAMAMU ENSEMBLE

Leitung/Malerei: Roman Scheidl

Assistenz: Claudia Unterluggauer

Bratsche: Shiori Inui

Schauspielerin: Marlene Wolfsberger

Schauspieler: Werner Landsgesell

 

SCHÜLERINNEN VON HIB, BG & BRG 3

Leitung: Jeremias Altmann  Judith Baum  Silvia Wegscheider

SchülerInnen: Luisa Berghammer  Victoria Binder  Seline Chen

Daphne Duty  Marie-Therese Feldscher  Durga Galhaup  Jorinna Girschik

Alina Sophie Hauke   Naomi Kondo  Vanessa König  Klaus Kothbauer

Maari Kurosaki  Raphaela Mladek  Zoa-Felice Pahl   Anna Rosa Rassl

Linda Scherhofer-Romero   Caroline Schmid  Celina Simanko  Maria Stadler

Ruta Strujak  Sophie Wagner

 

GUN GIRLS

Konzept: Jeremias Altmann

Choreografie: Manuela Juhart/Johanna Nielson

Darstellerinnen:  Laura Dominici  Paula Dominici  Beatrix Kouba 

Manuela Juhart   Barbara Lerch  Johanna Nielson  Anna Weisser

unterstützt durch KIWI-MOVES TANZSTUDIO: Corinna Böhm

 

GITARRE/SOUNDSCAPE

Helmut Heiland

 


 

CELLE: WAS WAR

Über Kulturvermittlung und Vermittlungskultur

 

Wer heute als Kulturträger in der Museumslandschaft eine breite Masse ansprechen möchte,

läuft Gefahr aus seriöser Museumswissenschaft einen Vergnügungspark zu entwickeln.

Dementgegen kann man in den Museumsinstitutionen den Trend beobachten, demgemäß

die Museumsdidaktik präziser an Besuchergruppen angepasst wird. Dies spiegelt sich sowohl

im steigenden Angebot museumspädagogischer Kulturvermittlungsprogramme, in den

zielgruppenorientierten Ausstellungsbegleitheften, in den Möglichkeiten, interaktiv mit den

Ausstellungsobjekten zu kommunizieren, als auch ¬ und vor allem im Veranstaltungswesen,

welches in der jüngeren Vergangenheit einen deutlichen Aufschwung erlebte und für wachsende

Besucherzahlen sorgte, wider.

 

Die fundamentalen Aufgaben der Museen müssen hier getrennt voneinander betrachtet werden.

Während Bewahren, Forschen und Sammeln wenig revolutionäre Entwicklungen zulassen, so macht

sich beim Ausstellen, dem Vermitteln – auch durch Veranstaltungen – die Tendenz bemerkbar,

dass das kreative Potenzial der publikumswirksamsten Herausforderungen an Museen erkannt wird,

neue Türen geöffnet und spannende Wege erschlossen werden. Auch in Österreich war die Vermittlung

in den letzten 20 Jahren einem großen Wandel unterworfen. Ziel war und ist es, möglichst vielschichtige

und museumsferne Gruppen zu erschließen. Der folgende Text beschäftigt sich mit diesem Potenzial

im Fokus der Kunst- und Kulturvermittlung unter besonderer Berücksichtigung der Abendveranstaltung

„CELLE: WAR WAS“ der Künstlerinnengruppe Celle im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien

am 18. März 2014.

 

Die Ausgangsposition war besonders spannend. Zwei genauso unterschiedliche wie vorurteilsfreie

Weltanschauungen trafen hier aufeinander. Bereits mehr als ein Jahr vor der Veranstaltung begannen

erste Sondierungsgespräche, die zwar positiv und originell waren, jedoch kam man, neben der

Erkenntnis, dass sich für Interaktionen zwischen Celle und HGM weite Spannungsfelder und

umfangreiche Zugangsmuster ergaben, nicht schnell auf einen gemeinsamen Nenner, gerade weil es

sehr viele Ideen gab.

 

Das Künstlerinnenkollektiv Celle und seine kollektiven Gehirn“celle“n hatten das Projekt von unten

aufgerollt. Es gab keinen Titel, kein Konzept, keine Vorgaben, keinen Plan oder andere geistige

Fesseln. Gerade dies war erfrischend, da Richtungen eingeschlagen wurden, die keinem System

untergeordnet waren. Solche Wege stehen in einem Haus, das eine nebengeordnete Dienststelle

des Österreichischen Bundesheeres ist, naturgemäß nicht an der Tagesordnung. Doch mittels eines

großzügigen Zeitplans, effektiver Kommunikationswege und dank der Freude, Begeisterung und

des persönlichen Engagements einiger Künstlerinnen und Künstler verflüchtigten sich die Bedenken

schnell.

 

Je näher der Stichtag kam, desto mehr waren konkrete Entwicklungen erkennbar. Innerhalb der

Celle und deren gruppendynamischer Entwicklungen entstanden klare Strukturen. So kristallisierten

sich die Rollen heraus und die Aufgabenpakete wurden verteilt. Es fand gewissermaßen eine

„Cell“kernspaltung statt.

 

Die wohl wichtigste Entscheidung in diesem Projektabschnitt war, dass man von der Vorstellung

Abstand nahm, das gesamte Museum mittels Interaktionen und Installationen zu bespielen.

Man entschied sich für Kompaktheit und Dichte der Performance in nur einem Trakt des weitläufigen

Museums.

 

Am 18. März 2014 war es dann soweit. Hunderte Interessierte fanden sich an diesem Tag in der

Feldherrenhalle ein und wurden neben den altehrwürdigen Feldherren aus Carraramarmor auch

mit den obligatorischen Celle-Leuchtwesten uniformiert. Ziel war es, Spannung aufzubauen,

die Menge zu kanalisieren und aus der Masse ein dynamisches Ganzes – nämlich den Tross – zu

schaffen. Als dann die Prunktreppe geöffnet wurde, strömten Hunderte Gäste unter den Augen

der allegorischen Göttin Austria direkt in den Flüstertunnel des Wiener Beschwerdechors.

„Unheimlich, beklemmend, ungeheuer“, aber auch „mitreißend, fesselnd und faszinierend“,

lauteten die ersten Reaktionen.

 

Einmal angekommen in der Ruhmeshalle wurde dem Tross langsam klar, welches Ausmaß dieses

Projekt angenommen hatte. Unter den makabren, siegreichen Schlachtenfresken forderte der

Tod seinen Tribut, in dem er unter dem Gesang des Beschwerdechors ein Leben nach dem anderen

aus einer praktizierenden Kampfsporttruppe riss. Die Toten erstarrten. Zusätzlich erinnerte ein

Kurzfilm über ohrenbetäubend laut zerschellende Melonen an die Bombardements und deren Opfer.

Geräusche, die dem Haus nicht neu waren. Ein weiter Teil des Museums war durch Bombenangriffe

im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.

 

Während der Herold mit Megaphon und monotoner Stimme den Tross antrieb, mischte sich

die „Erinnerung“ unter die Leute und rief lauthals Namen Gefallener aus dem Ersten Weltkrieg.

Noch im Seitentrakt der Säulenhalle befanden sich Videoinstallationen, die das Rüsten privater

Unternehmen in die Verantwortung nahmen und das Exerzieren des Militärs in allen Teilen der

Welt ins Skurrile rückten. Das Groteske dabei war, dass es sich lediglich um eine Aneinanderreihung

unveränderter Originalfilme handelte.

 

Bereits am Anfang der Schausammlung, welche den Anfängen des stehenden Heeres gewidmet ist,

war alles in Bewegung. Künstlerische Interventionen, die methodisch mit Ausstellungsexponaten

in Dialog traten, regten zum Nachdenken an. Zwei schwer verwundete, mumienartige

Kriegsversehrte schleppten sich mit dem Tross mit und zogen die Blicke der „Schlachtenbummler“

auf sich.

 

Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler hatten diesen Teil der Schausammlung bespielt. So wurden

bei den Rüstungen zusätzliche Exponate aufgestellt und Texte vorgetragen. Zu den Gemälden

von Pieter Snayers aus dem Dreißigjährigen Krieg gesellten sich Schautafeln, bedruckt mit

ausgewählten Köpfen der Feldherren aus der Eingangshalle, deren Gesichtsausdrücke an die

Wörter erinnerten, die darauf zu lesen waren. Weiter. Vorbei an der Violinistin und den

Ausdruckstänzerinnen, vor dem Schlachtengemälde, welches die Türkenbelagerung 1683 zeigt,

zu dem Travée, das Prinz Eugen gewidmet ist.

 

Die Trauerdekoration einer Seelgerätstiftung aus schwarzem Samt und Goldbrokat, die an

sämtliche siegreiche Schlachten des Prinz Eugen erinnern sollte, inspirierte Schülerinnen

und Schüler einer Kunstklasse, sich in Zeitlupe unter Klagegesang in ein überdimensionales

schwarzes Tuch einzuwickeln.

 

Gleich darauf eröffnete sich der Besucherin und dem Besucher der Trakt des Museums, der

dem 18. Jahrhundert und vor allem Maria Theresia gewidmet ist, durch ein von einer Leiter,

von oben herab, vorgetragenes Gedicht Georg Trakls. Inzwischen hatte der Beschwerdechor

wieder Aufstellung genommen und klagte lauthals die stummen Zeitzeugen der Türkenkriege,

des Österreichischen Erbfolgekrieges und des Siebenjährigen Krieges an.

 

Bevor sich der Tross wieder auf den Rückweg in Richtung Ruhmeshalle machte, stellten sich

ihm noch die „Gungirls“ vor. Unter einem osmanischen Prunkzelt ging es zu den Klängen von

Britney Spears so richtig zur Sache. Knapp bekleidete Damen in Gold kämpften, rekelten und

wälzten sich vor den Augen der durchaus überraschten Gäste. Zudem waren die Protagonistinnen

mit goldenen Waffen ausgestattet, die sie bewusst auf das Publikum richteten. Unter vollem

Einsatz bediente die Künstlerinnengruppe in kürzester Zeit zahlreiche Stereotypen aus

diversen Genrefilmen.

 

Langsam sammelte sich der Tross wieder in der Ruhmeshalle, wo ein Künstler zu Geigenklängen

und Ausdruckstänzern über eine Projektion den Tod förmlich an die Wand malte. Das Video der

zerberstenden Melonen wurde noch einmal, jedoch rückwärts abgespielt und die Ruhmeshalle

füllte sich mit Blut, versinnbildlicht durch ein gigantisches rotes Tuch.

 

Im Anschluss lud das Museum zu einem Vin d’honneur, wo man sich über Erlebtes austauschen

und diskutieren konnte. Kleine Speisen der Mangelwirtschaft, die „Cellistinnen“ nach Rezepten

aus dem Ersten Weltkrieg zubereitet hatten, konnten verkostet werden.

 

Der didaktische Ablauf wurde so festgelegt, dass die Schaulustigen förmlich durch die

Sammlungsbestände gezogen wurden und an den jeweiligen Stationen die performativen

Ausstellungsinteraktionen betrachten konnten. Diese Form der Integration von Kunst und Objekt

war an diesem Abend fester Bestandteil der Schausammlung. Manche Exponate, deren Alter auf

mehr als 400 Jahre geschätzt wird, kamen dadurch endlich in der Gegenwart an. Andere

Sammlungsstücke wiederum wurden endgültig abstrakt und verewigt. Der etwas träge Charakterzug

des Hauses, das seine schwierigen Inhalte selbst nur schwer verdaut, war an diesem Abend voller

Dynamik, Energie und Leben. Die kreativen, wagemutigen wie kraftvollen Installationen und

Auftritte haben zum Denken und zu Diskussionen angeregt. Das Echo war unüberhörbar.

 

An diesem Abend, erreichte die Botschaft der Celle Hunderte Besucherinnen und Besucher

und diese Botschaft zielte nicht darauf ab, die Heeresgeschichte und ihren musealen Vertreter

zu verurteilen, sondern kritisch zu beurteilen und Aspekte jenseits der chronologischen

Schausammlungen zu beleuchten.

 

Ein Vermittlungszugang, der einerseits physisch eng und kompakt, andererseits psychisch

offen und frei war. Ausstellungsobjekte und deren Geschichten, die derartig gefasst werden,

gewinnen an Kuriosität und bleiben im Gedächtnis lange haften. So wie Celle dies demonstriert

hat, bleibt dieser Abend wohl allen Gästen in Erinnerung. In dieser Hinsicht ist dieses Experiment

gelungen und könnte vielleicht eine Vorbildwirkung für zukünftige Zielgruppenkonzepte einnehmen.

Eine Geschichte zu erzählen, Übergänge und Zusammenhänge herzustellen, war weder Sinn noch

Ergebnis dieses Projekts. Man fand wenige Verbindungen innerhalb der vielschichtigen, künstlerischen

Interaktionen. Der gemeinsame Nenner war das Heeresgeschichtliche Museum per se. Genau hier

könnte man bei etwaigen zukünftigen Veranstaltungen ansetzen und auch noch einen weiteren

Schritt wagen.

 

(Georg Ruetgen)

 

 

 

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Video: CELLE im Heeresgeschichtlichen Museum, DVD, 34 min, 2015