WAR WAS, 2014
Fotos © Manfred Litscher/HGM
CELLE: WAR WAS
Wie und mit welchen künstlerischen Mitteln kann eine Institution
wie das Heeresgeschichtliche Museum bespielt und gleichzeitig
thematisiert werden? Die Antwort des KünstlerInnenkollektivs
CELLE ist eine grossangelegte performative Prozession durch
die realen wie mentalen Räume des Hauses. Ein vielgliedriger
und vielstimmiger Tross bewegt sich durch die Sammlung und
interveniert an einzelnen Stationen mit den historischen Beständen.
WAR WAS ist als einmaliges synästhetisches Spektakel angelegt.
Das Verwischen konventioneller Grenzen zwischen den Medien ist
konstitutiv. Für diesen Abend ist die Unterscheidung von "AkteurInnen"
und "BesucherInnen" zweitrangig. Alles wird Tross.
© Celle, Einladungskarte
Pressetext
WAR WAS ist ein stimmgewaltiger und vielgliedriger Tross von annähernd
100 Mitwirkenden, der mit vielfältigsten ästhetischen Mitteln die mentalen
Räume des Krieges durchschreitet. Herolde und Parzen, Beschwerdechor
und Flüstertunnel, eine Pop-Performance von Gun-Girls und rituelle Kampf-
sportszenen bilden einen bunten Totentanz, eine Museumstour, eine zitatenreiche
Tour de force. Multimediale Installationen und Projektionen, filmische Melonen-
schlachten, Rockmusikfragmente, Tafelmalerei und kalligrafische Dramenbleche,
Literatur und Schauspiel transportieren die Inhalte.
Anlässlich des 100sten Jahrestages des Beginns des 1. Weltkriegs gibt es zahlreiche
Veranstaltungen und auch Ausstellungen. Kaum ein Ort ist allerdings geeigneter
als das HGM; es ist einzigartig, sich gerade hier auf die lange Geschichte und die
Kontinuität der Ereignisse zu beziehen. Das Museale wird - endlich - mit dem
Lebendigen konfrontiert.
Hiess es bisher: der Krieg gehört ins Museum, heisst es nun: der Krieg kommt
ins Museum. Die Museumslandschaft wird zur Kriegslandschaft (Kurt Lewin), zum
Ort der Gefahr. Aus den Särgen steigen Klageweiber, vor dem Bild der Türkenschlacht
wird Walzer getanzt, zwischen Mordinstrumenten tummeln sich Liebespaare und Tode,
in der Ruhmeshalle ertönt martialisches Kampfgeschrei. Von den Stiegen her flüstert
ein Chor die Todesbotschaft. All dies begleitet von bandagierten Widergängern,
traumatisierten und nachhaltig Verwundeten.
Mitwirkende:
CELLE
Jeremias Altmann Judith Baum Karin Binder Michael Endlicher
Heidemarie Gasser Christian Helbock Regina Moritz
Bettina Patermo Christian Rupp Roman Scheidl Elli Schnitzer
Karin Seidner Maria Temnitschka Jana Winter
WIENER BESCHWERDECHOR
Leitung: Oliver Hangl, Stefan Foidl
KAMPFKUNSTFORUM WIEN
Gunther Attarpour
Teamleiter: Homayoun Hormozan
Team: Nora Camilla Josefa Groszschedl Ursula Handschuh
Oliver Kropf Chuen An Liang Ying Yu Liang Michael Luu
Hinna Mohammad Artur Udartsev
TAMAMU ENSEMBLE
Leitung/Malerei: Roman Scheidl
Assistenz: Claudia Unterluggauer
Bratsche: Shiori Inui
Schauspielerin: Marlene Wolfsberger
Schauspieler: Werner Landsgesell
SCHÜLERINNEN VON HIB, BG & BRG 3
Leitung: Jeremias Altmann Judith Baum Silvia Wegscheider
SchülerInnen: Luisa Berghammer Victoria Binder Seline Chen
Daphne Duty Marie-Therese Feldscher Durga Galhaup Jorinna Girschik
Alina Sophie Hauke Naomi Kondo Vanessa König Klaus Kothbauer
Maari Kurosaki Raphaela Mladek Zoa-Felice Pahl Anna Rosa Rassl
Linda Scherhofer-Romero Caroline Schmid Celina Simanko Maria Stadler
Ruta Strujak Sophie Wagner
GUN GIRLS
Konzept: Jeremias Altmann
Choreografie: Manuela Juhart/Johanna Nielson
Darstellerinnen: Laura Dominici Paula Dominici Beatrix Kouba
Manuela Juhart Barbara Lerch Johanna Nielson Anna Weisser
unterstützt durch KIWI-MOVES TANZSTUDIO: Corinna Böhm
GITARRE/SOUNDSCAPE
Helmut Heiland
CELLE: WAS WAR
Über Kulturvermittlung und Vermittlungskultur
Wer heute als Kulturträger in der Museumslandschaft eine breite Masse ansprechen möchte,
läuft Gefahr aus seriöser Museumswissenschaft einen Vergnügungspark zu entwickeln.
Dementgegen kann man in den Museumsinstitutionen den Trend beobachten, demgemäß
die Museumsdidaktik präziser an Besuchergruppen angepasst wird. Dies spiegelt sich sowohl
im steigenden Angebot museumspädagogischer Kulturvermittlungsprogramme, in den
zielgruppenorientierten Ausstellungsbegleitheften, in den Möglichkeiten, interaktiv mit den
Ausstellungsobjekten zu kommunizieren, als auch ¬ und vor allem im Veranstaltungswesen,
welches in der jüngeren Vergangenheit einen deutlichen Aufschwung erlebte und für wachsende
Besucherzahlen sorgte, wider.
Die fundamentalen Aufgaben der Museen müssen hier getrennt voneinander betrachtet werden.
Während Bewahren, Forschen und Sammeln wenig revolutionäre Entwicklungen zulassen, so macht
sich beim Ausstellen, dem Vermitteln – auch durch Veranstaltungen – die Tendenz bemerkbar,
dass das kreative Potenzial der publikumswirksamsten Herausforderungen an Museen erkannt wird,
neue Türen geöffnet und spannende Wege erschlossen werden. Auch in Österreich war die Vermittlung
in den letzten 20 Jahren einem großen Wandel unterworfen. Ziel war und ist es, möglichst vielschichtige
und museumsferne Gruppen zu erschließen. Der folgende Text beschäftigt sich mit diesem Potenzial
im Fokus der Kunst- und Kulturvermittlung unter besonderer Berücksichtigung der Abendveranstaltung
„CELLE: WAR WAS“ der Künstlerinnengruppe Celle im Heeresgeschichtlichen Museum in Wien
am 18. März 2014.
Die Ausgangsposition war besonders spannend. Zwei genauso unterschiedliche wie vorurteilsfreie
Weltanschauungen trafen hier aufeinander. Bereits mehr als ein Jahr vor der Veranstaltung begannen
erste Sondierungsgespräche, die zwar positiv und originell waren, jedoch kam man, neben der
Erkenntnis, dass sich für Interaktionen zwischen Celle und HGM weite Spannungsfelder und
umfangreiche Zugangsmuster ergaben, nicht schnell auf einen gemeinsamen Nenner, gerade weil es
sehr viele Ideen gab.
Das Künstlerinnenkollektiv Celle und seine kollektiven Gehirn“celle“n hatten das Projekt von unten
aufgerollt. Es gab keinen Titel, kein Konzept, keine Vorgaben, keinen Plan oder andere geistige
Fesseln. Gerade dies war erfrischend, da Richtungen eingeschlagen wurden, die keinem System
untergeordnet waren. Solche Wege stehen in einem Haus, das eine nebengeordnete Dienststelle
des Österreichischen Bundesheeres ist, naturgemäß nicht an der Tagesordnung. Doch mittels eines
großzügigen Zeitplans, effektiver Kommunikationswege und dank der Freude, Begeisterung und
des persönlichen Engagements einiger Künstlerinnen und Künstler verflüchtigten sich die Bedenken
schnell.
Je näher der Stichtag kam, desto mehr waren konkrete Entwicklungen erkennbar. Innerhalb der
Celle und deren gruppendynamischer Entwicklungen entstanden klare Strukturen. So kristallisierten
sich die Rollen heraus und die Aufgabenpakete wurden verteilt. Es fand gewissermaßen eine
„Cell“kernspaltung statt.
Die wohl wichtigste Entscheidung in diesem Projektabschnitt war, dass man von der Vorstellung
Abstand nahm, das gesamte Museum mittels Interaktionen und Installationen zu bespielen.
Man entschied sich für Kompaktheit und Dichte der Performance in nur einem Trakt des weitläufigen
Museums.
Am 18. März 2014 war es dann soweit. Hunderte Interessierte fanden sich an diesem Tag in der
Feldherrenhalle ein und wurden neben den altehrwürdigen Feldherren aus Carraramarmor auch
mit den obligatorischen Celle-Leuchtwesten uniformiert. Ziel war es, Spannung aufzubauen,
die Menge zu kanalisieren und aus der Masse ein dynamisches Ganzes – nämlich den Tross – zu
schaffen. Als dann die Prunktreppe geöffnet wurde, strömten Hunderte Gäste unter den Augen
der allegorischen Göttin Austria direkt in den Flüstertunnel des Wiener Beschwerdechors.
„Unheimlich, beklemmend, ungeheuer“, aber auch „mitreißend, fesselnd und faszinierend“,
lauteten die ersten Reaktionen.
Einmal angekommen in der Ruhmeshalle wurde dem Tross langsam klar, welches Ausmaß dieses
Projekt angenommen hatte. Unter den makabren, siegreichen Schlachtenfresken forderte der
Tod seinen Tribut, in dem er unter dem Gesang des Beschwerdechors ein Leben nach dem anderen
aus einer praktizierenden Kampfsporttruppe riss. Die Toten erstarrten. Zusätzlich erinnerte ein
Kurzfilm über ohrenbetäubend laut zerschellende Melonen an die Bombardements und deren Opfer.
Geräusche, die dem Haus nicht neu waren. Ein weiter Teil des Museums war durch Bombenangriffe
im Zweiten Weltkrieg zerstört worden.
Während der Herold mit Megaphon und monotoner Stimme den Tross antrieb, mischte sich
die „Erinnerung“ unter die Leute und rief lauthals Namen Gefallener aus dem Ersten Weltkrieg.
Noch im Seitentrakt der Säulenhalle befanden sich Videoinstallationen, die das Rüsten privater
Unternehmen in die Verantwortung nahmen und das Exerzieren des Militärs in allen Teilen der
Welt ins Skurrile rückten. Das Groteske dabei war, dass es sich lediglich um eine Aneinanderreihung
unveränderter Originalfilme handelte.
Bereits am Anfang der Schausammlung, welche den Anfängen des stehenden Heeres gewidmet ist,
war alles in Bewegung. Künstlerische Interventionen, die methodisch mit Ausstellungsexponaten
in Dialog traten, regten zum Nachdenken an. Zwei schwer verwundete, mumienartige
Kriegsversehrte schleppten sich mit dem Tross mit und zogen die Blicke der „Schlachtenbummler“
auf sich.
Zahlreiche Künstlerinnen und Künstler hatten diesen Teil der Schausammlung bespielt. So wurden
bei den Rüstungen zusätzliche Exponate aufgestellt und Texte vorgetragen. Zu den Gemälden
von Pieter Snayers aus dem Dreißigjährigen Krieg gesellten sich Schautafeln, bedruckt mit
ausgewählten Köpfen der Feldherren aus der Eingangshalle, deren Gesichtsausdrücke an die
Wörter erinnerten, die darauf zu lesen waren. Weiter. Vorbei an der Violinistin und den
Ausdruckstänzerinnen, vor dem Schlachtengemälde, welches die Türkenbelagerung 1683 zeigt,
zu dem Travée, das Prinz Eugen gewidmet ist.
Die Trauerdekoration einer Seelgerätstiftung aus schwarzem Samt und Goldbrokat, die an
sämtliche siegreiche Schlachten des Prinz Eugen erinnern sollte, inspirierte Schülerinnen
und Schüler einer Kunstklasse, sich in Zeitlupe unter Klagegesang in ein überdimensionales
schwarzes Tuch einzuwickeln.
Gleich darauf eröffnete sich der Besucherin und dem Besucher der Trakt des Museums, der
dem 18. Jahrhundert und vor allem Maria Theresia gewidmet ist, durch ein von einer Leiter,
von oben herab, vorgetragenes Gedicht Georg Trakls. Inzwischen hatte der Beschwerdechor
wieder Aufstellung genommen und klagte lauthals die stummen Zeitzeugen der Türkenkriege,
des Österreichischen Erbfolgekrieges und des Siebenjährigen Krieges an.
Bevor sich der Tross wieder auf den Rückweg in Richtung Ruhmeshalle machte, stellten sich
ihm noch die „Gungirls“ vor. Unter einem osmanischen Prunkzelt ging es zu den Klängen von
Britney Spears so richtig zur Sache. Knapp bekleidete Damen in Gold kämpften, rekelten und
wälzten sich vor den Augen der durchaus überraschten Gäste. Zudem waren die Protagonistinnen
mit goldenen Waffen ausgestattet, die sie bewusst auf das Publikum richteten. Unter vollem
Einsatz bediente die Künstlerinnengruppe in kürzester Zeit zahlreiche Stereotypen aus
diversen Genrefilmen.
Langsam sammelte sich der Tross wieder in der Ruhmeshalle, wo ein Künstler zu Geigenklängen
und Ausdruckstänzern über eine Projektion den Tod förmlich an die Wand malte. Das Video der
zerberstenden Melonen wurde noch einmal, jedoch rückwärts abgespielt und die Ruhmeshalle
füllte sich mit Blut, versinnbildlicht durch ein gigantisches rotes Tuch.
Im Anschluss lud das Museum zu einem Vin d’honneur, wo man sich über Erlebtes austauschen
und diskutieren konnte. Kleine Speisen der Mangelwirtschaft, die „Cellistinnen“ nach Rezepten
aus dem Ersten Weltkrieg zubereitet hatten, konnten verkostet werden.
Der didaktische Ablauf wurde so festgelegt, dass die Schaulustigen förmlich durch die
Sammlungsbestände gezogen wurden und an den jeweiligen Stationen die performativen
Ausstellungsinteraktionen betrachten konnten. Diese Form der Integration von Kunst und Objekt
war an diesem Abend fester Bestandteil der Schausammlung. Manche Exponate, deren Alter auf
mehr als 400 Jahre geschätzt wird, kamen dadurch endlich in der Gegenwart an. Andere
Sammlungsstücke wiederum wurden endgültig abstrakt und verewigt. Der etwas träge Charakterzug
des Hauses, das seine schwierigen Inhalte selbst nur schwer verdaut, war an diesem Abend voller
Dynamik, Energie und Leben. Die kreativen, wagemutigen wie kraftvollen Installationen und
Auftritte haben zum Denken und zu Diskussionen angeregt. Das Echo war unüberhörbar.
An diesem Abend, erreichte die Botschaft der Celle Hunderte Besucherinnen und Besucher
und diese Botschaft zielte nicht darauf ab, die Heeresgeschichte und ihren musealen Vertreter
zu verurteilen, sondern kritisch zu beurteilen und Aspekte jenseits der chronologischen
Schausammlungen zu beleuchten.
Ein Vermittlungszugang, der einerseits physisch eng und kompakt, andererseits psychisch
offen und frei war. Ausstellungsobjekte und deren Geschichten, die derartig gefasst werden,
gewinnen an Kuriosität und bleiben im Gedächtnis lange haften. So wie Celle dies demonstriert
hat, bleibt dieser Abend wohl allen Gästen in Erinnerung. In dieser Hinsicht ist dieses Experiment
gelungen und könnte vielleicht eine Vorbildwirkung für zukünftige Zielgruppenkonzepte einnehmen.
Eine Geschichte zu erzählen, Übergänge und Zusammenhänge herzustellen, war weder Sinn noch
Ergebnis dieses Projekts. Man fand wenige Verbindungen innerhalb der vielschichtigen, künstlerischen
Interaktionen. Der gemeinsame Nenner war das Heeresgeschichtliche Museum per se. Genau hier
könnte man bei etwaigen zukünftigen Veranstaltungen ansetzen und auch noch einen weiteren
Schritt wagen.
(Georg Ruetgen)
Video: CELLE im Heeresgeschichtlichen Museum, DVD, 34 min, 2015