Christian Helbock

NOTO, 1998/2000

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Videostills © Markus Lobner

 

Videostills aus: NOTO, L4, 1998, VHS, 14 min und NOTO, C1, 1998, VHS, 15 min

 

 


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Folder


 

NOTO FOTO O-TON

 

noto

1
kenntlich machen, kennzeichnen, bezeichnen
occasionell: schreiben, anmerken, aufzeichnen

2
wahrnehmen, beobachten, sehen
auf jemanden anspielen: se indoluisse notatam

 

NOTO verwendet Fernsehen als formale Camouflage und nutzt die symbolische Funktionsweise des Mediums. Unter dem eingeführten Label werden Kamera und

Mikrofon, Insignien einer Sendeanstalt, als reale Fiktion im öffentlichen Raum eingesetzt, bezeichnen ihrerseits aber den gegebenen Begriff der Mediatisierung von Öffentlichkeit. NOTO tarnt sich so vor dem Hintergrund einer tatsächlichen Fernseh-Realität ohne jedoch restlos in ihr aufzugehen.

 

 

 

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ars electronica, 1998, Brucknerhaus, Linz

 

 

 

UNTERSUCHUNGSFELD

 

 Anhand der Fragestellung: Sind Sie für oder gegen den NATO-Beitritt Österreichs? Warum sind Sie für oder gegen den NATO-Beitritt Österreichs? soll ein politisches Thema exemplarisch behandelt und an Einzelpersonen/Bevölkerungsgruppen herangetragen werden. Ziel ist die Erfassung einer sozialen Meinung und deren Dokumentation in der zeitlichen Abfolge des politisch-medialen Diskurses.


EXKURS: In seinen philosophischen Betrachtungen über Rundfunk und Fernsehen heisst es bei Günther Anders: "Die Ereignisse kommen zu uns, nicht wir zu ihnen". In einer vorläufigen Problemaufzählung kann man weiter lesen: "Wenn die Welt uns anspricht, ohne dass wir sie ansprechen können, sind wir dazu verurteilt, mundtot, also unfrei zu sein (...) Wenn sie uns vernehmbar ist, aber nur das, also nicht behandelbar, sind wir in Lauscher und Voyeurs verwandelt". In NOTO wird der Versuch unternommen, Mundtote und Voyeure, in diesem medienkritischen Sinn, zu Sprechenden also Akteuren zu machen. Fernseh-Konsumenten werden durch ihre Meinungsäusserung zu Produzenten von Inhalt. Absender und Adressaten gehören - gespiegelt durch das Medium - der gleichen Wirklichkeitsebene an.


ZITAT: Wenn man will, dass jemand, der nicht zu den Wortgewaltigen gehört, es schafft, etwas zu sagen (und oft sagt er dann ganz ausserordentliche Dinge, Dinge, die diejenigen, die ständig das Wort führen, nicht einmal denken können), muss man ihn beim Sprechen unterstützen. Um das ein bisschen edler auszudrücken, könnte ich sagen: Das ist die sokratische Aufgabe in Reinkultur. Es geht darum, sich jemandem zur Verfügung zu stellen, der etwas Wichtiges zu sagen hat und von dem man wissen will, was er zu sagen hat, was er denkt; es geht darum, ihm zu helfen, es herauszubringen. (Pierre Bourdieu)


O-TON: Ich bin gegen alle diese globalen Vereinigungen. Das ist eine Illusion, dass es so bleiben kann. Aber man kann nichts dagegen tun, sagen wir so. Es kommt sicher anders als man es sich wünscht. Aber es ist nicht aufzuhalten. Irgendwann wird alles von einer Seite regiert werden, glaube ich. Irgendwann hat ein Staat alles in der Hand. Momentan ist das Amerika.


O-TON: Ich habe den Krieg mitgemacht. Es ist gegen Frauen und Kinder gegangen und gegen alte Leute. Auf der Front sind weniger Leute zugrunde gegangen, weniger Männer zugrunde gegangen, als wie hier in den Städten. Also ich kann voll und ganz sagen, ich bin gegen alles, was mit Krieg und Kampf und Soldatentum zu tun hat. Sie sind ja keine Leibeigene vom Staat, wenn sie Soldaten spielen müssen in ihrem Leben.


Die Erfassung der Bevölkerung per Interview ist breit angelegt, die Klassifizierung der jeweiligen Gruppen unterliegt jedoch poetisch-arbiträren Kriterien. Gearbeitet wird an der Erstellung von etwa 20 Videobändern, geordnet nach den Buchstaben des Alfabets und einer chronologisch durchlaufenden Zahl. Ein erstes Band, aufgenommen in Wien, innere Stadt, trägt so die Bezeichnung C1 (City, erstes Band). Weitere Bänder lauten auf D2 (Diagonale, zweites Band) bzw. V3 (Vernichtungskrieg, drittes Band) und sind in Graz bzw. Salzburg entstanden. Die Interviews werden in allen Bundesländern durchgeführt, im städtischen wie auch im ländlichen Bereich.


O-TON: Da müssten eigentlich diese Experten, die sich damit befassen, schon eine Aussage machen, die das Volk irgendwie akzeptiert. Wenn Sie mit den Leuten sprechen, der eine sagt nein, der andere sagt ja. Wenn das so einfach wäre, dass jeder einzelne Staatsbürger hier seine Expertenmeinung abgibt, dann kommt man nie zu was. Es müsste schon jemand dasein, der sagt, das ist notwendig, das brauchen wir unbedingt oder wir brauchen es nicht oder in anderer Form.


FOTON: In der Quantentheorie das kleinste Energieteilchen einer elektro-magnetischen Strahlung.


NOTO ist ebenso der Versuch, öffentliches Bild und öffentlichen Raum in dynamische Beziehung zu setzen. Unter dem Banner des Fernseh-Senders können die Empfangs-Instrumente eingerichtet werden. Das Mittel der Meinungsumfrage schafft dann die Voraussetzung dafür, die verschiedenen persönlichen Aussagen, kleine Wirklichkeitspartikel, zu sammeln. Aus dieser Sammlung von Bildern lässt sich im Lauf der Zeit eine "soziale Strahlung" ablesen.


ZITAT: Das öffentliche Bild hat heute den öffentlichen Raum abgelöst, in dem die soziale Kommunikation stattfand; die Funktion von Strasse und Marktplatz haben jetzt Bildschirme und elektronische Anzeigen übernommen. (Paul Virilio)


O-TON: Ich glaube es ist notwendig die Diskussion zu führen, welche Sicherheit braucht Österreich ? Wie kann man diese Sicherheit organisieren? Ob es die NATO ist, ist eine ganz andere Frage. Es müssen die Grundlagen zuerst diskutiert werden. Welche Bedrohung gibt es und wie kann man diesen Bedrohungen in den heutigen Zeiten entgegnen, wie kann man etwas tun, damit diese Bedrohungen nicht stärker werden? Ich glaube, dass die NATO vielleicht das ungeeignetste Mittel ist. Aber man müsste eigentlich einmal darüber diskutieren und das geschieht leider nicht.

 

 

 

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ars electronica, 1998, Bahnhof Linz

 

 

 

Das Sammeln von sozialer Meinung, die Fundierung einer öffentlichen Debatte, hat ihr Gegenteil in der medialen Zerstreuung von Information. Eine Art der Zerstreuung behandelt der Kommentar zu einer Fotografie aus dem 1. Weltkrieg: Explosionsort mit acht Granateinschlägen (1916). Die Explosionstrichter werden vermessen. Es ist ein Übungsgelände, nichts Wirkliches. In den Geschossen, die die Trichter verursacht haben, waren einige Milliarden Partikel ehemals lebendiger, dann (als Geschoss) toter und jetzt vernichteter Arbeit enthalten; diejenigen, die das Pulver, das Eisen, die Kanonen, die Kriegskunst, die Einzelschritte, die zum Krieg führen, produziert haben, steckten mit je einem Partikel im Geschoss, ihre wirklichen Beziehungen sind zerstreut und werden als Trichter vermessen. (Oskar Negt / Alexander Kluge)


O-TON: Ich würde gegen einen NATO-Beitritt stimmen mit dem heutigen Tag. Aber wie gesagt, die Sache ist noch ziemlich erklärungsbedürftig und es wäre etwas mehr Verantwortung bei den politischen Parteien gefragt, da nicht zu polemisch zu werden in dieser Frage. Es müsste Platz sein für eine vernünftige politische Lösung, die jenseits des Parteiengezänks daherkommt.


FOTOGRAMMETRIE: a) Verfahren zum Konstruieren von Grund- und Aufrissen aus fotografischen Bildern von Gegenständen b) in der Messtechnik und Kartografie das Herstellen von Karten aus der Fotografie des darzustellenden Gebietes.


Mit fortschreitender Dauer, von Interview zu Interview, von Ort zu Ort und von Monat zu Monat, wächst die Genauigkeit des "sozialen Fotogramms", entsteht aber gleichzeitig so etwas wie ein österreichisches roadmovie, sozusagen ein politischer Heimatfilm, der bestimmte Aspekte der gegenwärtigen Auseinandersetzung dokumentiert.


ZITAT: Sprechen heisst: von Abwesendem sprechen: heisst: dasjenige, was nicht zur Stelle ist, jemandem, der nicht zur Stelle ist, vorstellen. (Günther Anders)


O-TON: Die Politiker sollten einmal schauen, was ist alles zu machen, zu leisten und dann, ist meine Meinung, das sollten nicht die Politiker alleine machen, weil, wenn man es eh schon so oft macht, das ist dann sicher kein sinnlos hinausgehautes Geld, aber vorher richtig informieren, die Bevölkerung aufklären und dann zu einer Volksabstimmung. Das ist genauso mit dem Euro. Die Aufklärung, bitte sehen Sie mal das im Fernsehen, ist ja auch sehr unglaubwürdig. Das haben sie nicht gut gemacht. Das muss man ehrlich sagen. Die haben sich oft bis jetzt noch nicht ausgekannt. Das war genauso mit dem Beitritt. Drei Jahre hat man es gewusst und man hat nichts gemacht. Mit dem kleinen Zug und wir müssen aufspringen. Wir sind doch nicht bei der Mickey Mouse. Das war sehr schlecht, sind wir uns ehrlich. Man hat die Bevölkerung, also uns, das Volk, praktisch nicht für ganz reif hingestellt: nur so kann man es denen erklären...

 

 

 

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Videostill © Markus Lobner

 

translocation (open access), 1999, Generali Foundation, Wien

 

 

 

ABSPIELSITUATION

 

Für die Sendung des NOTO-Programms ist ein Videorecorder und ein Monitor notwendig sowie ein mehr oder weniger öffentlicher Ort als Übertragungsraum. Gedacht ist z.B. an Büro-, Veranstaltungs- und Versammlungsräume von diversen Gruppen, ebenso an Installationen und Informationstische im Fussgängerbereich, an Geschäftsauslagen (mit Aussenlautsprecher), an Kunstvereine, Galerien, Kultur- und Jugendzentren, u.ä. Es werden also vorhandene Infrastrukturen in den verschiedenen Bundesländern mitbenützt. Das Medium soll vom passiven Fern-Sehen hin zum aktiven Handeln verschoben werden.


Einen breiten öffentlichen Diskurs, jenen zum Thema NATO, der weit und breit nicht geführt wird, zu führen, jene Abwesenheit anzusprechen, die aus diesem Gespräch bislang Abwesenden zum Sprechen zu bringen, diese ungestellte Frage jetzt zu stellen, und die Stellungsnahmen jenen vorzustellen, die nicht zur Stelle sind, ist mit Aufgabe dieses Projekts.


(Christian Helbock, August 1998)

 

 

 

 

 

NATO neutral

Anmerkungen zu Christian Helbocks NOTO Channel

 

Vor geraumer Zeit prägte ein Politiker die Formel "Neutral in die NATO". Diese wurde seitdem vielfach abgewandelt. Etwa so: Als EU-Mitglied solle Österreich sich der NATO zugehörig fühlen, bei Konfikten ausserhalb derselben aber neutral bleiben. Was aber, wenn sich die EU ausserhalb ihres Territoriums militärisch engagiert, sind doch Einsätze "out of area" der wesentlichste Unterschied für das österreichische Militär zwischen NATO-Zugehörigkeit und Neutralität? Oder auch: Die Neutralität solle dahingehend neu definiert werden, dass von Fall zu Fall abzuwägen sei, ob sich Österreich neutral verhält oder für eine Konfliktpartei Partei ergreift. Überfällt den Vegetarier der Gusto nach einem Schweinsbraten, hilft ihm die Neudefinition desselben als Gemüsestrudel aus der Misere. Da er sich dabei aber gehörig lächerlich macht, hinkt der Vergleich, denn der politische und mediale Diskurs über die österreichische Militär-, pardon: Sicherheitspolitik wird, wo immer man hinschaut, von Konstruktionen der erwähnten Art bestimmt. Ein Begriff von "Neutralität", der, soferne nicht als "Mythos" denunziert, um alles denkbar Konträre und selbst seine eigene Kontradiktion erweitert wird, taugt natürlich nichts. Der Schluss von der Untauglichkeit der definitorischen Deformation auf die Sache selbst ist dann nur mehr der letzte Schritt, um die Sache zu Ende zu bringen. Ein Begräbnis zweiter Klasse.

 

Dem gegenüberzustellen wäre eine Auseinandersetzung, die sich, etwa unter Rückblick auf die letzten fünfzig Jahre, zunächst die Frage nach dem realen Bestand der Begriffe "Neutralität" und "NATO" zu stellen hätte. Doch die geistigen Doppelsalti sind derart allgegenwärtig, daß mir das Bemühen schon gescheitert erscheint, bevor es noch begonnen wurde. So wird erwähnte Frage umgehend mit dem Hinweis als irrelevant eingestuft, die Neutralität sei ein Erbe des Kalten Krieges und daher heute hinfällig, ohne daß dieses daher auch nur im Ansatz argumentiert wird.

 

Wenn ich diese nun schon länger anhaltende Hilflosigkeit hier eingestehe, dann deswegen, um zu verdeutlichen, warum ich Christian Helbocks Unterfangen, sich einfach mit Kamera, Mikrofon und der einfachen Frage "NATO-Beitritt, ja oder nein?"auf die Strasse zu stellen, sogleich als Versuch verstanden habe, diese Situation der Nichtauseinandersetzung hinten herum aufzubrechen im Sinne einer subversiven politischen Aktionsform.

 

NOTO Channel unterläuft das Gerede über Neutralität und NATO, wie wir es alle kennen. Wer bereit ist, zuzuhören, mehr noch den ausführlicheren Rohfassungen als den fertig geschnittenen Bändern, die oder der wird bald Bourdieu zustimmen, wie ihn Helbock in seinem Konzept zu NOTO zitiert: Wenn man will, dass jemand, der nicht zu den Wortgewaltigen gehört, es schafft, etwas zu sagen (und oft sagt er dann ganz außerordentliche Dinge, Dinge, die diejenigen, die ständig das Wort führen, nicht einmal denken können), muss man ihn beim Sprechen unterstützen; und hier vor allem dem in der Klammer Gesagten.


Ausserordentlich sind die Dinge nicht, weil sie so überzeugend sind, dies manchmal auch, ausserordentlich sind sie, weil sie direkt sind und die Interessen hinter ihnen noch erkennbar. Was in den kurzen Interviews präsent wird, deckt sich oft so gar nicht mit dem medial Verlautbarten: Da wird zum Beispiel NATO vielfach mit Militär gleichgesetzt: NATO, das sind Soldaten,  Neutralität hingegen jede nichtmilitärische Politik. So einfach scheint das. Ist es das vielleicht nicht? Mulmig hingegen wird mir bei Stimmen pro Neutralität, die allzu sehr nach Abschottung, nach "mir san mir" klingen. Vor allem bei älteren NATO-GegenerInnen tritt oft ein national geprägter Antiamerikanismus zum Vorschein, in dem die USA nicht als Befreier, sondern als Besatzungsmacht erinnert werden: "Irgendwann hat ein Staat alles in der Hand. Momentan ist das Amerika."

 
Manche Argumente haben mich schlicht überrascht: Im Burgenland, da, wo österreichische Rekruten ihre Feldstecher und Sturmgewehre auf sogenannnte illegale Grenzgänger richten, war NATO gleich EU, EU gleich Osterweiterung, daher NATO schlecht. Noch schützt unser Heer uns vor den Fremden, aber wenn wir erst mal in der NATO sind ...

 
Ich könnte diese Aufzählung noch lange fortsetzen. Was mir an dieser Stelle wichtig erscheint, sind nicht die Argumente der Interviewten pro oder contra NATO, sondern, dass sie überhaupt argumentieren, eine Diskussion somit erst ermöglichen. Christian Helbock: Einen breiten öffentlichen Diskurs, jenen zum Thema NATO, der weit und breit nicht geführt wird, zu führen, jene Abwesenheit anzusprechen, die aus diesem Gespräch bislang Abwesenden zum Sprechen zu bringen, diese ungestellte Frage jetzt zu stellen und die Stellungnahmen jenen vorzustellen, die nicht zur Stelle sind, ist mit Aufgabe dieses Projekts.


In einem Wortspiel setzt Helbock NOTO in Beziehung zu O-TON, FOTON usw. So, wie elektromagnetische Strahlung aus Lichtquanten zusammengesetzt ist, erhofft er sich eine "soziale Strahlung", zu der sich die von ihm eingeholten Aussagen bündeln. Deswegen sind auch die fertigen NOTO-Bänder (bislang: Wien, Graz, Salzburg, Langenlois, Linz, Bregenz, Schlaining, Gmunden) zum Selbstkostenpreis zu beziehen: Für die Sendung des NOTO-Programms ist ein Videorecorder und ein Monitor notwendig sowie ein mehr oder weniger öffentlicher Ort als Übertragungsraum. Gedacht ist zum Beispiel an Büro-, Veranstaltungs- und Versammlungsräume von diversen Gruppen, ebenso an Installationen und Informationstische im Fussgängerbereich, an Geschäftsauslagen (mit Aussenlautsprecher), an Kunstvereine, Galerien, Kultur- und Jugendzentren u.ä. Darüber hinaus ist denkbar, dass Gruppen, Initiativen oder Einzelpersonen selbst auf die Strasse gehen und NOTO-Bänder produzieren.

 
NOTO Channel ist ein work in progress. Wozu die ausgestrahlten Statements sich schlussendlich zusammenfügen werden, ist nicht absehbar. Den NATO-Beitritt Österreichs wird das Projekt nicht verhindern (das ist als Ziel zwar nicht formuliert, aber warum sonst hiesse der Sender NOTO?). Wohl eine naive Vorstellung. Politische Bewegungen sind tot. Durch Medien ersetzt, die diese nicht tragen können, sind sie durch diese auch nicht wiederzubeleben. Doch ist es genau dieser Charakter als Medium, welchen NOTO Channel wirksam werden lässt. Als virtueller, von keinem Sendemasten ausgestrahlter Fernsehkanal bringt er, auch hierin wiederum subversiv, eine von eben jenen zugedeckte Wirklichkeitsebene zum Vorschein: Wenn die Welt uns anspricht, ohne dass wir sie ansprechen können, sind wir dazu verurteilt, mundtot, also unfrei zu sein (...) Wenn sie uns vernehmbar ist, aber nur das, also nicht behandelbar, sind wir in Lauscher und Voyeurs verwandelt" (Günther Anders). In NOTO wird der Versuch unternommen, Mundtote und Voyeure, in diesem medienkritischen Sinn, zu Sprechenden, also Akteuren zu machen. Fernseh-Konsumenten werden durch ihre Meinungsäusserung zu Produzenten von Inhalt.

 
Seine stärkste Wirkung entfaltete NOTO für mich, als ich zwei Tage lang selbst in die Rolle des Interviewers geschlüpft bin. In Schlaining, einem kleinen Ort im Burgenland, bekam ich von einem Arbeiter als Antwort: "Wozu brauche ich die NATO? Sag Du mir zuerst, warum ich dafür sein sollte. Ich brauche kein Militär." Eine simple Antwort, der ich weder etwas entgegnen konnte noch brauchte. So wird vielleicht, wenn NOTO seinen Sendebetrieb wieder eingestellt haben wird, vor allem dies bleiben: die Dokumentation von im Medienstrom verschütteten Stimmen, Stimmen derer, die durch das Medium NOTO für kurze Zeit von Voyeuren zu Akteuren wurden.

 

(Markus Kemmerling, 1998)